Wären die Zeiten nicht so schwierig gewesen, der junge Harry Frommermann wäre wohl alleine sitzen geblieben auf seinem Traum von der A-cappella-Gruppe, die so klingen sollte wie die berühmten „Revelers“ in Amerika. Zu bieten hatte der enthusiastische Sänger und autodidaktische Arrangeur nichts als die Aussicht auf eine lange harte Probenzeit ohne jede Bezahlung und die vage Hoffnung auf einen späteren Erfolg. Im Berlin der späten 1920er, zwischen libertärer Nachkriegseuphorie und beginnender Wirtschaftskrise, aber fand er tatsächlich fünf Mitstreiter, die seinen Traum mit ihm teilten. Neben miesen Brotjobs blieb ihnen nur die Hoffnung auf bessere Zeiten. Und so ward die erste deutsche „Boy-Group“ geboren: die „Comedian Harmonists“.
Tatsächlich sollte es bis zum großen Durchbruch volle zwei Jahre dauern – eine Zeit, nach der sicher kein Hahn mehr gekräht hätte, wären die Comedian Harmonists nicht genau 70 Jahre nach ihrer Gründung noch einmal ins Rampenlicht geraten. Joseph Vilsmaier brachte die Geschichte des Sextetts 1997 auf die Kinoleinwand, während Gottfried Greiffenhagen und Franz Wittenbrink zeitgleich eine Bühnenversion schufen. Der Erfolg letzterer hält bis heute an: Thomas Weber-Schallauer inszenierte die „Comedian Harmonists“ nun am Theater Hagen. In kurzen Episoden wird das Publikum Zeuge der harten Proben, für die die Sänger buchstäblich jede freie Minute opferten, des ersten gescheiterten Vorsingens und des kometenhaften Aufstiegs der Gruppe. Höchst kurzweilig und unterhaltsam setzt Regisseur Weber-Schallauer dieses Kammerspiel in Szene.
Fünf Stimmen und ein Klavier reichen als musikalische Ausstattung, stellen dafür allerdings auch umso höhere Anforderungen an die Aufführenden. In Hagen bleiben keine Wünsche offen. An die 20 der ausgefeilten Arrangements der Comedian Harmonists vom Kleinen grünen Kaktus bis zum Onkel Bumba aus Kalumba erklingen im Stück, was dem Ganzen einen Revuecharakter verleiht und im zweiten Teil auch deutlich zu Lasten der Handlung geht. So geht das abrupte Ende der Comedian Harmonists – nach nur vier Erfolgsjahren verbieten die Nazis 1934 das Ensemble, weil drei Sänger Juden sind – auch ziemlich schnell über die Bühne, obwohl das Stück mit knapp zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer nicht gerade knapp angelegt ist.
„Comedian Harmonists“ | Fr. 9.3., 19.30 Uhr | Theater Hagen | Infos: 02331 2 07 32 18
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