Es gibt diese wertvollen Momente, in denen das Genre an Bedeutung verliert. Als das Johanna Schneider Quartet „Mondgesang“ spielt, ist es soweit. Der präsente Kontrabass und das zurückhaltend gestrichene Schlagzeug wandeln auf den vertrauten Pfaden einer Jazzballade. Doch der deutschsprachige Gesang schafft Abstand zu der englischsprachig geprägten Welt der Jazzstandards. Als Johanna Schneider schließlich zum lautmalerischen Scatgesang wechselt, nähert sie sich wiederum für Momente verblüffend der großen US-amerikanischen Sängerin Sarah Vaughan an. Das Spiel mit Tradition und Neuerung wirkt ungezwungen und stimmig.
Das PENG-Festival solle Jazzmusikerinnen Raum zum Experimentieren bieten, sagt Christina Schamei, Musikerin und eine der Gründerinnen. Mit sechs Mitstreiterinnen, darunter Johanna Schneider, organisierte sie erstmals 2016 im Maschinenhaus Essen das an zwei Abenden stattfindende Festival. Die sieben Frauen haben sich kennen gelernt während ihres Studiums an der Folkwang Universität der Künste und sind übereingekommen, dass Jazzmusikerinnen ein eigenes Forum brauchen. Denn viele Veranstalter hegten sehr bestimmte ästhetische Erwartungen, erklärt Schamei. Vielleicht darf man ihren Hinweis so verstehen: Es wäre unverzeihlich, einen Star wie die kanadische Sängerin und Pianistin Diana Krall als Stellvertreterin der Frauen im Jazz wahrzunehmen; die musikalische Welt ist vielfältiger. In diesem Jahr sei das Programm besonders abwechslungsreich, freut sich Christina Schamei. Am Vorabend spielte unter anderem Monika Roscher mit dem Folkwang Jazz Orchestra. „Dieser Big Band-Klangkörper ist super angekommen“, sagt sie, „auch bei Leuten, die es sonst nicht so mit Jazz haben“.
Auch Ack van Rooyen schafft es mühelos, das Publikum an ein vermeintliches Geheimnis des Jazz heranzuführen: Improvisation. Der 87-jährige Trompeter und Flügelhornist begleitet das Johanna Schneider Quartet anstelle des angekündigten Saxofonisten Rick Margitza. Van Rooyen erklärt dem Publikum, Improvisation sei vor allem ein Selbstgespräch, bestehend aus Fragen und Antworten. Zum Beweis spielt er kurze Phrasen an, die das Publikum fortsetzen soll. Komplexe klassische Motive Beethovens oder Bachs summt der Saal fehlerfrei zu Ende. Das gelingt sogar, wenn nur zwei Noten vorgegeben sind: aus dem Colonel Bogey March, bekannt als Werbemelodie für einen Kräuterschnaps.
Johanna Schneiders Gesang wechselt mühelos zwischen dunklem Timbre und hohen Akzenten und lässt sich auch von rasenden Pianoeinwürfen Tizian Josts nicht aus der Ruhe bringen. Die Musiker kombinieren eingängigen Swing mit rhythmisch abweichenden Passagen, finden zu bluesigem Pathos und einem psychedelisch angehauchten Klangteppich. Kein anderer Laut ist zu hören als Andreas Kurz zu einem Walking Bass-Solo aufbricht, in das sich nach und nach das weiche Flügelhorn und Johanna Schneiders Scatgesang mischen. Es folgt ein unaufgeregtes, vertracktes Schlagzeugsolo von Silvio Morger.
Mit perkussiven Effekten auf Cello, Violine und Kontrabass beginnt die Kölner Band phase::vier ihren Auftritt: Bögen klatschen auf die Saiten, die eine oder andere Note wird gezupft. Dann gleiten Finger längs über Saiten, erzeugen ein durchgehendes Auf oder Ab. Sängerin Filippa Gojo orientiert ihren Gesang an instrumentellen Ideen: Gebundene Melodien mit starken Wechseln zwischen Laut und Leise wechseln sich ab mit abgehackten Lauten. Cellistin Elisabeth Coudoux und Violinistin Zuzana Leharová spielen zuweilen unisono in hohen Lagen, wagen sich zusammen mit dem Gesang in schrille Regionen. Auch Svenja Doeinck am Kontrabass wechselt zwischen Bogen- und Fingerspiel, stimmt in die dichten Linien der anderen ein. Antoine Duijkers begleitet die vier Frauen in erdigen Klangfarben auf seinem durch zahlreiche Handtrommeln modifizierten Schlagzeug. Die Band öffnet ein weites Assoziationsfeld: Jazz, experimentelle Klassik, Folk, Funk und Soundtrack.
Das No Tango Quartet tritt seit zehn Jahren inner- und außerhalb Europas auf. Das offensive, jazzige Spiel von Christina Fuchs an Klarinette und Saxophon verwebt sich zeitweise so eng mit dem Spiel von Florian Stadler am Akkordeon, dass scheinbar jede Note von irgendeinem der beiden Instrumente gespielt sein könnte. So nah kommen sich die Klangbilder, wenn die beiden Musiker es wollen. Zusammen mit Ulla Oster am Kontrabass und Christoph Hillmann am Schlagzeug folgen sie außergewöhnlichen Rhythmen: Die beiden Frauen betonen ihre Neigung, Kompositionen auf der Zahl 11 aufzubauen. Aber das interessiere vermutlich nur Musiker, schmunzelt Ulla Oster, Laien sollten sich davon nicht beeindrucken lassen.
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