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Martialische Märtyrerin: Johanna von Orléans (Lena Schwarz)
Foto: Arno Declair

Politische Wunderverwaltung

30. Juni 2011

Roger Vontobel inszeniert Schillers „Jungfrau von Orléans“ in Bochum - Theater Ruhr 07/11

Der Atem rauscht wie der Wind, es tschilpt und tiriliert. Eine Frau in schwarzem Overall intoniert mit ihrer Stimme die Arien der Natur und das Loopgerät kopiert sie ins Unendliche. Es ist ein Abschied. Von der Natur, die nur noch als reflektiert-reproduzierte zu haben ist. Und vom Leben, denn die junge Frau wird von sechs Bischöfen auf einem Richterpodium zum Tode verurteilt. Regisseur Roger Vontobel rahmt Schillers „Die Jungfrau von Orléans“ mit Szenen des historisch verbürgten Prozesses, in dem Johanna bzw. Jeanne D’Arc als Ketzerin abgeurteilt wurde − was nicht beim Autor steht, aber überzeugend eine Spur des Stücks verstärkt. Vontobel liest die romantische Tragödie um Johanna, die in religiös-nationalistischer Berufung als Feldherrin die Engländer schlägt und Karl VII. den französischen Thron rettet, als Parabel politischer Instrumentalisierung. Aus den Bischofssoutanen schälen sich bald Politstrategen in Businesssuits hervor, kriegs-führende Bürokraten am Rande des Sachzwangzusammenbruchs. Florian Langes Karl ist ein dicklicher, kettenrauchender Zauderer mit Whiskeyglas, hart bedrängt vom dem drahtig-schneidigen Graf Dunois (Jürgen Hartmann). Ihre Reaktion auf die triumphierende Jungfrau als Soldatin: Wunderverwaltung als Fraktionssitzung.

Dass in dem Stück auch ein Geschlechterdrama liegt, unterstreichen die Begegnungen Johannas mit der Königinmutter (ebenfalls Florian Lange), die vom Sohn verbannt sich auf die Seite der Engländer geschlagen hat, von ihnen erneut verbannt wird und die weiß, was männliche Macht bedeutet. Die Männertruppe wechselt derweil spielerisch zwischen Bischöfen, französischen (blaue Hemden) und englischen (olivfarbene Hemden) Streitgockeln hin und her. Schreiende Gitarrenklänge von Daniel Murena und Stroboskoplicht untermalen die Schlachtszenen, dazwischen keucht Johanna mit Schmuddeldecke als Fahne emphatische Brandreden ins Mikro.

Lena Schwarz, die die Rolle eineinhalb Wochen vor der Premiere von der erkrankten Barbara Hirt übernommen hat, kommt ohne Naivitätssäuseln und somnambules Delirieren aus. Ihre Johanna vereint religiöses und nationalistisches Sendungsbewusstsein mit äußerster Brutalität, wenn sie einen Engländer mit einem Mikrokabel stranguliert, und selbstreflektiven Zügen. Zum Waterloo wird ihr die Begegnung mit dem forschen Lionel (Dimitrij Schaad), die die Selbstzweifel bis zur Selbstaufgabe wachsen lassen. Die Politstrategen haben längst die Fäden gezogen. Die Verbrüderung mit dem Herzog von Burgund wird mit Champagner und Zigarren gefeiert; angetrunken verschachern die neualten Kumpels Johanna unter sich und sind von ihrer Emphase eher verstört. Karls Krönung ist dann Bundestag pur mit Versöhnungsrede. Als Johanna angeklagt wird, folgt die Distanzierung auf dem Fuß, die mit ihrem Tod wieder in eine Verklärung im Dienste der Herrschaft mündet. Eine klug aktualisierte Inszenierung ohne Schnörkel.

„Die Jungfrau von Orléans“ von Friedrich Schiller I R: Roger Vontobel | Schauspielhaus Bochum I So 10.7. 17 Uhr I 0234 33 33 55 55

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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