Freitag, 13. Februar: Früher hieß es, ein Film sei gay, schwul oder lesbisch, heute hätte man dafür den neuen Begriff „queer“, erläuterte der Kölner Weltstar Udo Kier bei seiner Danksagung in der Komischen Oper Berlin, als er dort bei den 29. Teddy Awards mit einem „Special Teddy Award“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Online hätte er als Begriffserklärung gefunden, queer seien „Dinge, Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen“. „Hört sich doch gut an!“ kommentierte Kier, der zuvor in der Laudatio durch seine Kollegin Nicolette Krebitz warmherzig umschrieben worden war: „Er ist viel mehr als ein Schauspieler oder Star, er ist eine Kultfigur. Ein Popstar ist das, was Udo vielleicht von Anfang an war, und deshalb musste er raus aus dem engen Deutschland. Denn Pop ist eine internationale Kraft, die in Deutschland allein nicht gelebt werden kann.“ Seit Jahren schon ist er nun in den USA zu Hause, dreht Filme mit aktuellen und kommenden Kultregisseuren, hat aber seine Anfänge in Köln nicht vergessen, wo er als Sechzehnjähriger mit dem unwesentlich jüngeren Rainer Werner Fassbinder durch „Arbeiterkneipen mit sehr gutem Publikum aus frühen Transvestiten, Truckerfahrern und Sekretärinnen“ gezogen war.
Moderiert wurde der Abend bereits zum vierten Mal von Jochen Schropp, der beim Interview im Vorfeld gestand, er habe bei den Teddy Awards immer etwas „mehr Herzklappern“ als bei anderen Veranstaltungen. „Das ist hier eben immer ein sehr feierlicher Anlass und eine ganz besondere Atmosphäre. Aber ich bin gerne dabei und nach zehn oder fünfzehn Minuten auf der Bühne hat sich meine Aufregung dann auch gelegt“, so Schropp. Deutlich mehr Herzklappern dürften die jungen Nachwuchsregisseure bekommen haben, als sie für ihre Filme als Beste des Berlinale-Jahrgangs 2015 prämiert wurden und damit in die Fußstapfen solch großer Namen wie Gus Van Sant, Pedro Almodóvar oder Rosa von Praunheim getreten sind. Der Teddy Jury Award wurde Jim Chuchus kenianischem Schwarz-Weiß-Film „Stories of Our Lives“ zugesprochen, in dem der Filmemacher die Schicksale einer Reihe kenianischer LGBTI-Menschen nachspielen ließ, die zuvor in Interviews gesammelt worden waren und allesamt die homophobe Grundeinstellung in dem afrikanischen Land zu Tage treten lassen.
In der Kategorie bester Kurzfilm konnte sich Omar Zúñiga Hidalgo mit „San Cristóbal“ gegen die ebenfalls nominierten „Kumu Hina“ (von Dean Hamer und Joe Wilson) und „A Spectacle of Privacy“ (von Roy Dib) durchsetzen. Der 29minütige chilenische Film erzählt die sensible Geschichte der beiden jungen Männer Lucas und Antonio, die sich ineinander verlieben und diese Liebe gegen Einflüsse von außen verteidigen müssen. Im Bereich des Dokumentar- oder Essayfilms schafften es „Feelings Are Facts: The Life of Yvonne Rainer“ von Jack Walsh und „Haftanlage 4614“ von Jan Soldat auf die Nominiertenliste der neunköpfigen internationalen Teddy-Jury. Der Preis in dieser Kategorie wurde schließlich „El hombre nuevo“ von Aldo Garay zugesprochen, einer uruguayisch-chilenischen Koproduktion. Sie ist das Porträt des einstmaligen Revolutionärs Roberto, der für ein besseres Schulsystem und Sozialreformen auf die Barrikaden ging, heute aber ein Leben als Frau mit dem Namen Stephanía führen möchte und dadurch gleichermaßen gegen gesellschaftliche Konventionen anzukämpfen hat. Auch in der Königskategorie des besten Spielfilms musste die Jury aus Beiträgen aus den unterschiedlichsten Berlinale-Sektionen auswählen. So schafften es in diesem Jahr mit „Vergine giurata“ von Laura Bispuri und „Eisenstein in Guanajuato“ von Peter Greenaway sogar zwei Filme aus dem Haupt-Wettbewerb auf die Nominierungsliste. Die Wahl der Jury fiel hier am Ende jedoch auf den Panorama-Beitrag „Nasty Baby“ von Sebastián Silva. Im Mittelpunkt des US-amerikanischen Films steht ein schwules Paar, das es sich in den Kopf gesetzt hat, gemeinsam ein Kind zu bekommen und groß zu ziehen. Der Regisseur selbst übernahm in dem Film eine der beiden Hauptrollen. Die meisten der Teddy-Gewinnerfilme werden es voraussichtlich in den nächsten Monaten auch in NRW in die Kinos schaffen, entweder auf regionalen Filmfestivals oder im Rahmen der queeren Filmreihen „homochrom“ oder „Gay Filmnacht“.
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