Schwarze Löcher. Eine alles in sich verschluckende und unerforschte Gefahr aus dem Weltall, den meisten Menschen aus diversen TV-Dokus bekannt, existiert inzwischen nicht mehr nur im All, sondern, dank Teilchenforschung, auch auf Erden. Sie treten in Mikroausführung als Nebenprodukt sogenannter Teilchenbeschleunigung auf und sind laut dem Biochemiker und Chaostheoretiker Otto Rössler nicht berechenbar. Trotz seiner Warnungen darf die Forschung jedoch weiterhin, basierend auf den Theorien des Astrophysikers Stephen Hawking, betrieben werden. So viel zu den Fakten.
In Orths Roman „Alpha & Omega“beobachtet die sexbesessene Teilchenforscherin Sabrina Stewart mehr oder weniger entsetzt, wie ein in ihrem Beschleuniger entstandenes schwarzes Loch nicht sofort wieder zerfällt wie Hawking einst prophezeite, sondern bleibt und sich ausdehnt. Das Ende der Welt steht unmittelbar bevor, womit auch die Lesung beginnt. Die Konstellation eines über 500 Seiten langen Romans lässt sich nur lückenhaft zusammenfassen. Orths setzt aber die richtigen Textschwerpunkte, um dem Zuhörer den Facettenreichtum, die Tragikomik und die Figurenkonstellation seines Romans zu eröffnen.
Ein mit vier Gehirnvierteln ausgestatteter, auktorialer Erzähler erzählt die Geschichte der adoptierten Weltenretterin Omega, die als erster Mensch mit drei Gehirndritteln im Jahr 2000 nicht geboren wurde, sondern einfach da war und außerdem „Germanys next Topmodel“ und Wimbledon-Siegerin ist. Ihre Adoptivfamilie besteht aus dem Müllmann Kolja, der Esoterikerin Birte, dem spielsüchtigen Großvater Gusto und dem Informatiker und Bruder Alpha. Weiterhin haben wir den von innen hohl scheinenden Hund Escher und die bereits erwähnte Stewart, welche sich in der Erzählung wahnhaft in ihre Schöpfung „Black beauty“ „hineinspagettisieren“ lässt. Dazu kommt ein „reichster Mann der Welt“ und ein Menschenmob, der die Apokalypse auf Tablets und I-Phones verfolgt und bejubelt, die drohende Gefahr jedoch erst erkennt als eben genau diese geliebten Gerätschaften ebenfalls verschluckt werden. Weitere Figuren sind u. a. Stephen Hawking, der das Ende der Welt diesmal nicht erklären kann, James Cameron, der unbedingt einen Bombenangriff durch US-Präsidentin Hillary Clinton auf das schwarze Loch filmen möchte und ein besonderer, auf Buhrufe spezialisierter Performancekünstler, „Der Schamp“ genannt.
Hier handelt es sich um den realen Autor und Künstler Matthias Schamp, der nun als Orths Romanfigur auftritt, aber auch live anwesend ist und zusammen mit Orths aktiv an der Lesung teilnimmt. Über diese Zusammenarbeit berichtete trailer bereits im Juli.
Nachdem „Der Schamp“ zu Beginn noch als lebende Lichtorgel im Hintergrund steht, muss er dann in einem Hai nach Post suchen, wofür als „Hailight“ ein Stofffisch an einer Angelschnur auf den Tisch gezogen und von einer Handpuppe in Schamp-Optik geöffnet wird. Als Romanfigur wollte er schließlich mal etwas Außergewöhnliches erleben, so Matthias Schamp im Anschluss. Das Ende der Lesung soll nicht verraten werden, die abschließenden, lauten Gedanken des Müllmanns Kolja über das Leben nach dem Tod machen aber Lust auf mehr.
Die Neugier auf das gesamte Werk wurde unter Anbetracht der literarischen Finesse, der Sprechkunst und der Ausbreitung des Themas, spielend erreicht. Die Lesung, die von „Macondo“ im Rahmen des „Die Lust am Hören“-Programms veranstaltet wurde, lässt „Alpha & Omega“ als Apokalypse-Roman der Sonderklasse erscheinen. Neben einzelnen, humorvoll inszenierten Romansituationen und den stilistisch abwechslungsreichen Dialogen der beiden Interpreten, rückt hier vor allem die Gesamtkonzeption des Romans in den Vordergrund. Diese mutet auf den ersten Blick wie eine chaotische Ursuppe an, die auf den zweiten Blick um ein Vielfaches durchdachter gestaltet scheint.
Harte wissenschaftliche Realität vermischt sich mit skurriler Comedy. Die großen philosophischen Fragen des Lebens werden auf groteske Weise abgearbeitet und werfen einen Schatten auf maßlose Forschungs-, Konsum-, und Wettbewerbsmentalität. Außerdem werden alltägliche Phänomene der Multimediagesellschaft ebenso gekonnt und humorvoll eingeflochten wie die Eigenarten verschiedenster Lobbyisten. Im Zentrum steht der generelle Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion, spirituelle Offenheit trifft auf die Borniertheit der Wohlstandsgesellschaft sowie religiöse Monotonie auf spirituelle Vielfalt. Die Erhöhung der Kunst durch die Schamp-Figur als Fast-Weltretter wirft die Frage auf, was Kunst im modernen Zeitalter der Reizüberflutung noch zu leisten im Stande ist.
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