„Alles ist Arbeit“ – Wirklich sexy klingt der Titel nicht, unter dem das Literaturhaus Dortmund in Kooperation mit dem Fritz-Hüser-Institut einen Krimi-Autor und eine Lyrikerin geladen hat. Doch die Mischung aus Lesung und Gespräch wird zu einem unterhaltsamen Ausflug durch Nagelstudios und Bibliotheken, stellt Reisebericht neben Trauerrede, erlaubt Blicke auf Autorenschreibtische und lauscht dem gesellschaftlichen Smalltalk über Arbeits- und Lebensentwürfe.
Basis des Abends ist die 58. Ausgabe des „Konkursbuch“. Das 1978 gegründete „kulturelle Jahrbuch“ widmet sich diesmal auf über 400 Seiten vielstimmig verschiedenen Arbeitswelten. Der Literaturwissenschaftler Arnold Maxwill, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt tätig ist, hat aus den zahlreichen Beiträgen dieser Anthologie eine Auswahl getroffen, die auf den allerersten Blick nicht zusammenzupassen scheint, vor Ort jedoch eine absolut runde Veranstaltung liefert. Die Einführung von Silke Andrea Schuemmer und Johannes Groschupf beschränkt Maxwill auf das Wesentliche und findet unmittelbar einen Einstieg in das Gespräch, das für sich den Abend hätte tragen können: Wie steht es um das gesellschaftliche Ansehen der Schriftstellerei? Wie reagieren Menschen, wenn auf die Frage nach dem Beruf mit „Autor“ geantwortet wird? Die beiden Gäste aus Berlin können hierzu reichlich Anekdoten beisteuern. Sehr offen und humorvoll plaudern sie aus dem Nähkästchen, auch über elterliche Erwartungen und ihren Umgang damit.
Die Nägel schön
Der erste literarische Text führt dann allerdings weit weg vom Schriftstellerdasein. Silke Andrea Schuemmer führt mit ihrem Essay in ein typisches Nagelstudio, das „Paradise“. Sie schlüpft in die Haut und vor allem in den Kopf einer Kundin, die sich French Nails machen lässt. Da ist die Sprachbarriere, die in der rund einstündigen Prozedur kein wirkliches Gespräch zwischen Kundin und Dienstleisterin zulässt – und so fahren Beobachtungen und Spekulationen in den Gedanken der Kundin Karussell. Wie kann sich das Nagelmodellieren rentieren? Profitiert die Kundin von der Ausbeutung der stets wechselnden jungen Asiatinnen oder ermöglicht sie ihnen ein besseres Leben als „zuhause“? Schuemmer entlarvt in ihrem Text den Alltagsrassismus, der sich beinahe unbemerkt im Hinterkopf einnistet, wenn man über die Lebensumstände fremdländisch wirkender Menschen spekuliert. Dabei zeigt die Autorin zudem ein sicheres Gespür für hochkomische Situationen und absurde Dialoge. So laufen auf einem Bildschirm an der Wand durchgehend asiatische Musikvideos. Die Kundin versucht, hinter die Geschichte zu kommen, die zur Musik erzählt wird. Den „Inhalt“ von Musikvideos wiederzugeben, kann schon bei Werken der amerikanischen Popkultur absurd wirken – doch dass sie die männlichen Protagonisten nicht auseinander halten kann, macht die Nacherzählung noch grotesker. Auf die Frage, worum es in dem Video gehe, antwortet die Asiatin lächelnd „Musik“. Was würde sie wohl antworten, wenn man das „Hope“-Tattoo auf ihrem Arm anspräche?
Die Bibliothek als Partnerbörse
Einen ganz anderen Zugang zum Thema Arbeit wählt Johannes Groschupf. Sein Essay führt in die Staatsbibliothek zu Berlin, liebevoll Stabi genannt. In dem Sharoun-Bau an der Potsdamer Straße arbeitet der Krimi-Autor an seinen Romanen – oder aber er lässt Blicke und Gedanken schweifen, was zu wunderbaren Beschreibungen des Bibliotheksbetriebes und vor allem seiner Nutzer führt. Groschupf schildert die unterschiedlichen Rituale derer, die statt eines heimischen Arbeitszimmers die Atmosphäre einer Bibliothek benötigen, um in einen Schreibfluss zu kommen – oder sich der gebotenen Ablenkungen zu ergeben. Er beschreibt, wie sich die Einrichtung des WLAN im Bücherschiff auf die Produktivität der prokrastinierenden Nutzerinnen und Nutzer ausgewirkt hat, oder hebt den Wert der Gänge und Nischen als Partnerbörse hervor. Groschupf beweist eine feine Beobachtungsgabe und in Bezug auf die eigenen Schreibrituale eine gehörige Portion Selbstironie. Mit seinem Text weckt er die Lust darauf, das Gebäude bei einem der nächsten Berlinaufenthalte mal zu besuchen.
Trauer und Hubschrauberabsturz
Nicht minder unterhaltsam als die beiden vorgetragenen Texte entspinnt sich das Gespräch zwischen den beiden eingeladenen Autor:innen und Arnold Maxwill. Maxwill, der als mehrfach ausgezeichneter Lyriker durchaus eine eigene Perspektive auf schriftstellerische Arbeit hätte beisteuern können, nimmt sich selbst ganz zurück und beweist als Moderator seine intensive Beschäftigung mit den Texten. Diese sind jedoch nur Aufhänger für eine extrem kurzweilige und ungezwungene Plauderei über Arbeitsrealitäten. Wenn zum Beispiel Silke Andrea Schuemmer auf die Frage, wie sie mit der Herausforderung des weißen Blattes Papier umgehe, antwortet: „Ich jammere viel“, dann hat sie die Lacher auf ihrer Seite. Es wird aber auch sehr ernst, wenn es zum Beispiel um den hohen Druck geht, der im Bereich der Genre-Literatur herrscht (weil die literarischen Arbeiten in Lyrik und Prosa nur wenig zum Lebensunterhalt beitragen, schreibt Schuemmer auch unter Pseudonym für große Publikumsverlage). Auch in ihre Tätigkeit als Trauerrednerin gewährt sie bereitwillig Einblick. Groschupf wiederum erzählt, wie er sich der väterlichen Vorstellung, die juristische Familientradition fortzuführen, widersetzte und zunächst Reisejournalist und nach dem Einschnitt eines beinahe tödlichen Hubschrauberabsturzes Romanautor wurde. Sicherlich hätte das Publikum den dreien noch viel länger lauschen können – nur die extrem niedrigen Temperaturen im Literaturhaus lassen sie dann doch zügig den Weg in die beheizte Gastronomie oder nach Hause antreten.
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