Fünf Schauspieler sitzen auf Couch und Stühlen und blicken ernst drein. Hinter ihnen haufenweise gelbe Hefte, unschwer als Reclamausgaben zu identifizieren. Ein weiteres Bühnenbild ist nicht zu erkennen, drei weiße Wände, Requisiten werden von den Büchlein verdeckt, die jeder Schüler kennt, aber nicht notwendigerweise lieben gelernt hat. Das also soll jetzt Tauris sein, die schöne Krim, den Grie - chen wohlbekannt, doch selten bereist, weil dort immer alle Fremden einen Kopf kürzer gemacht wurden? Kein Wunder, dass alle so ernst blicken.
Der junge griechische Regisseur Sarantos Zervoulakos inszeniert am Theater Ober - hausen Goethes Iphigenie auf Tauris, ein für Abiturjahrgänge gern gespieltes Stück über Fragen, was, ob und wie man in Konfliktsituation handeln sollte. Eins weiß der Zuschauer bereits nach ein paar Minuten: Wenn es Reclamhefte regnet, einfach bewegungslos sitzen bleiben, nicht zucken, nichts sagen, einfach nur das schlichte Gelb genießen. Was dann kommt, kann man mit gutem Gewissen ein extremes Kammerspiel nennen, denn weder das Mobiliar noch die Schauspieler werden bis zum glücklichen Ende die Bühne verlassen, sie werden den antiken Stoff in jambischen Versen quasi als zeitgenössische TV-Gesprächsrunde im schicken Outfit an bieten, und alle spielen mimisch immer mit, obwohl das im Reclam anders steht.
Zurück also zur quirligen Iphigenie (Elisabeth Kopp spielt sie gekonnt im knappen Schwarzen), die auf der Insel mit Hilfe der Göttin Diana eine Zuflucht gefunden hat vor ihrer blutrünstigen Chaosfamilie in Griechenland. Ihr Vater Agamemnon wollte sie opfern, um bei den Göttern Wind für seine Überfahrt nach Troja zu erbitten. Eine schöne Idee, doch Iphigenie entkommt. Jeder weiß: Irgendwie hat es der alte Recke aber doch geschafft übers Mittelmeer zu kommen. Geht doch.
Nun ist sie auf Tauris. Thoas, König der Taurier (Michael Witte) behandelt sie gut, hat sich in sie verliebt und deswegen auch das alte Gesetz alle Fremden auf dem Altar der Diana zu opfern, ausgesetzt. Iphigenie geht es also gut, sie kann in den Tag hinein leben, hier ein paar heilige Rituale, da mal ein paar duftende Blumen auf die verwaiste Richtbank im Tempelhain, doch sie will einfach nur weg. Steht also immer am Strand und sinnt über das Meer. Ausgerechnet zurück nach Grie - chenland zu der Familie und dem Fluch, den die Götter ihrer Sippe auferlegt haben, weil irgend so ein Halbgott im Stammbaum mal seinen Sohn für die Göttermahl - zeit frisch zubereitet hat, weil er deren Allwissenheit testen wollte.
Die Geschichte erzählt die Königstochter in Oberhausen zum Aperitif, quasi auch als Entschuldi - gung dafür, dass sie den netten Thoas nicht ehelichen will, sie will nach Hause. „Hat nicht die Göttin, die mich rettete, allein das Recht auf mein geweihtes Leben?“ Iphigenie sucht verzweifelt und mit allen Mitteln nach Auswegen. Der König ist sauer, nimmt die Richtbank für zwei gefangen genommene Fremde wieder in Betrieb. Ein bisschen Druck muss sein. Auch Goethe konnte schon prima mit Frauen umgehen.
Bis hierhin hat man sich an Zervoulakos Regie gewöhnt. Seine Abläufe innerhalb der Figurengruppe sind behutsam, aber nicht langweilig und von einer szenischen Lesung weit entfernt. Das liegt natürlich auch an den überzeugenden Schau spielern, die den nun entstehenden zusätzlichen Konflikt auch durch Bewegungsfreude auf der Couch untermalen. Denn die Gefangenen sind Iphi - genies Bruder Orest (Martin Hohner) der Muttermörder und sein Freund Pylades (Michael Golab). Beide wollten die berühmte Statue der Diana klauen, was misslingt. Orest nimmt es mit Todessehnsucht, Pylades mit Fluchtgedanken. Iphigenie erkennt den Bruder, hört die neuesten Nachrichten aus der Heimat: Troja gefallen, Vater Agamemnon wegen ihr von der Mutter Klytämnestra getötet, die wieder aus Rache von Orest. Nun wollen die beiden Burschen fliehen, doch die Priesterin Iphigenie sieht sich in der heiligen Pflicht, beichtet alles beim König, der nun erst einmal richtig überredet werden will. Das schafft die geschickte Rhetorikerin. Thoas haucht noch traurig „Lebet wohl!“ und Schluss ist mit altem Fluch und greller Bühnen-Beleuchtung.
Ein gradlinig inszeniertes Schauspiel und eine Hymne auf das Versmaß sind aus. Ob am glücklichen Ende die zahlreich erschienenen Jugendlichen wieder mehr Freude an den gelben Heftchen haben werden, wage ich allerdings stark zu bezweifeln.
Iphigenie auf Tauris
Fr., 4.3., 19.30 Uhr
Theater Oberhausen
0208 857 81 84
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