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„Der Tag des Spatzen“ von Philip Scheffner
Foto: Presse

Spatzenmord in der Hafenstadt

02. November 2010

Eine Woche deutschsprachiger Dokumentarfilme - Festival 11/10

Nicht viele Filmfestivals in Deutschland können auf 34 Jahre Geschichte zurückblicken. Als die Duisburger Filmwoche 1977 ihre Premiere feierte, zeichnete sich langsam aber sicher ab, dass die Kohle- und Stahlindustrie nicht für immer das Rückgrat der Stadt bleiben würde. Heute wird Duisburg oft als Kontrast aus städtebaulich-abenteuerlichen Spielplätzen und verbliebenen, einkommensschwachen Arbeitervierteln dargestellt. Der Innenhafen, das Eurogate oder das Stadtfenster-Projekt sollen mehr Beschäftigung und damit mehr Hoffnung in Aussicht stellen. Insofern passt „Horizont“, das diesjährige Motto der Filmwoche, nicht nur auf das Wesentliche des Filmbildes, nämlich seine Begrenzung, sondern auch auf den Festivalort selbst.
Sechs Tage lang Ausschnitte, Einblicke und Momentaufnahmen aus dem filmischen Kontakt mit der Realität. Und nicht zuletzt mit den visuellen Spuren ihrer Vergangenheit. In „Liebe Geschichte“ wickeln Simone Bader und Jo Schmeiser die Verarbeitungsmechanismen Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit zwischen 1950 und 2010 auf. Parallel dazu erzählen Töchter und Enkelinnen von ihren Erfahrungen mit Tätern und Täterinnen. Die Täterfrage lauert ganz unvermutet in Philip Scheffners „Der Tag des Spatzen“. Ein Spatz und ein deutscher Soldat in Afghanistan kommen am selben Tag ums Leben. Zufall? Sicher. Doch nach und nach nähert sich der Regisseur über den Lebensraum der Spatzen den Übungsplätzen einer Bundeswehr, die im Krieg zu sein scheint, dies aber verborgen halten will. Zu idyllischen Vogelstudien schleichen aus dem Off Erfahrungsberichte von Soldaten über psychische Labilität, Alkoholismus und Jagdbombereinsätze in Afghanistan heran. Daheim werden dagegen bereits Schauprozesse gegen Antimilitaristen geführt. Eine als Naturfilm getarnte, subversive Kriegsdokumentation. Weniger subtil, dafür bildgewaltig geht Erwin Michelberger dem Phänomen Tod und dessen Bedeutung in den drei großen Weltreligionen nach. Mit ikonografischer und symbolischer Bildsprache hält er in seinen Einstellungen das sensible Verhältnis von Tod und Dokumentation im Gleichgewicht. Dazu lässt er Totengräber, Kinder, Prediger und Gläubige vor einen himmlischen Hintergrund gesetzt in einen zusammenmontierten, interreligiösen Dialog treten. Beeindruckend bleibt, wie aus den Bildern der Bestattungspraktiken die Transzendenz als Leitthema visuell durchdringt. Man möchte manchmal gar von einer Ästhetik des Todes sprechen.
Neben der Dokumentationswoche läuft parallel das doxs!-Programm. In kostenlosen Schulvorstellungen können Klassen hier internationale Dokumentarfilmproduktionen sehen und später unter professioneller Anleitung eine eigene Kritik verfassen. Die regulären Beiträge werden am Samstagabend ausgezeichnet. 20.000 Euro Preisgeld verteilen sich hier auf sechs Kategorien. Zum Schluss darf man sich Guy Debords kritischem Manifest „Die Gesellschaft des Spektakels“ hingeben. Hier ist die Realität bereits nicht mal mehr am Horizont zu sehen. Aber wo ist sie zu finden? An Duisburgs neuem Innenhafen?

34. Duisburger Filmwoche I 1.11.-7.11.
Filmforum Duisburg
www.duisburger-filmwoche.de

DAWID KASPROWICZ

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