Das Ende ist vergnügt: Drei Frauen sprechen und scherzen, nehmen sich in den Arm und schlendern davon. Ein Bild von tiefem Verständnis am Ende einer Oper, die den Titel des feministischen Essays „A room of one’s own“ von Virginia Woolf trägt. Der Hagener Intendant Francis Hüsers hat die Oper bei der finnischen Komponistin Outi Tarkiainen in Auftrag gegeben und das Libretto dazu verfasst. Die Uraufführung fand nun am Theater Hagen statt – an einem Abend mit „Suor Angelica“, in der ein Frauenschicksal des 19. Jahrhunderts verhandelt wird. Und das Ende der Oper Giacomo Puccinis ist ganz anders: Sie endet in Suizid und einem die irdischen Zusammenhänge aufbrechenden Eingreifen der Gottesmutter Maria als jenseitiger Instanz.
Das hat weniger mit Kitsch oder mit Nicht-Gelingen zu tun, wie Texte im Programmheft nahelegen, sondern mit Perspektiven und gesellschaftlichen Grenzen. Auch in Tarkiainens Oper endet Judith, fiktive Schwester Shakespeares und ebenso mit schriftstellerischem Talent begnadet, in der Selbsttötung. Die Oper verbindet eine schottische Ballade von vier Frauen am Hof Mary Stuarts mit frauenpolitischen Erwägungen, die 1928 zu Woolfs Zeit brennender waren als heute, und beinah parabelhaften Szenen. Eine Vorlage, bei der sich Regisseurin Magdalena Fuchsberger nicht auf Handlungselemente verlassen kann, sondern Kopftheater ins sinnlich wirksame Bild verwandeln muss. In den Bühnenräumen von Monika Biegler, von Martin Gehrke wirkungssicher in Licht gesetzt, hat sie wesentliche Unterstützung: reduzierte italienische Barockarchitektur für „Suor Angelica“, die sich in „A room of one’s own“ hebt, neue Räume und Perspektiven freigibt.
Fuchsberger, die 2018 in Hagen Verdis „Simon Boccanegra“ in äußerst konzentrierter Gedankenführung entwickelt hat und 2023 an der Wiener Staatsoper Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen“ inszeniert, verknüpft die beiden Opern in sorgsam gesetzten Signalen. Die Statue einer Maria mit Kind, die in Puccinis Einakter zur zentralen Chiffre aufgewertet ist, bleibt auch bei Tarkiainen präsent. Doch so wirkmächtig sie sich zeigt, als der sterbenden Angelica ihr verstorbener Sohn in golden-jenseitigem Licht erscheint, so marginal wird sie in den Debatten um Frauenbildung und -macht. Am Ende verschwindet sie hinter Laserprojektionen und wird von Frauen hinausgetragen, die sich vorher im Kollektiv die Belehrungen der Männer und eines skurrilen Professors (Kenneth Mattice) anhören mussten. Ein Abend, der nur für den Zuschauer funktioniert, der genau hinsieht.
Musikalisch darf sich die Aufmerksamkeit mal eine Pause gönnen: In ihrer ersten Oper setzt Tarkiainen auf weitgehend tonale Klänge zwischen filigranen solistischen Anforderungen und großen Aufschwüngen, die mit Puccinis melodischem Rausch korrespondieren. Das Orchester unter Joseph Trafton bewährt sich glänzend. Angela Davis hat als Suor Angelica große Momente und angestrengte Augenblicke, Dorothea Brand, Maria Markina und Evelyn Krahe bilden mit Marie-Pierre Roy in der Oper Tarkiainens ein überzeugendes Quartett. Die Komponistin übrigens musste der Uraufführung 200 Meter entfernt in Klausur beiwohnen – Corona hat’s verschuldet.
Suor Angelica / A room of one’s own | So 5.6. 18 Uhr, Mi 8.6. 19.30 Uhr | Theater Hagen | 02331 207 32 18
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