Gibt es eine Kausalität zwischen Schaulaufen und Schauprozess? In jedem Drama, in jedem Lustspiel, das eine Gerichtsverhandlung auf der Bühne darstellt, steht grundsätzlich die Verurteilung des Beklagten bereits im Vorhinein fest. Das Schaulaufen entzieht sich dagegen eher einer eindeutigen Begrifflichkeit und findet formal nicht notwendigerweise immer auf Bühnen statt. Nichtsdestotrotz könnte man hier eher einen kurzen Prozess erhoffen.
Das rigoros Prozessuale hat sich das Theater Duisburg jetzt zum Thema gemacht. „Kurzer Prozess“ heißt das diesjährige Theatertreffen, das bereits zum zweiten Mal ohne die sonst als Überbau dienenden „Akzente“ gestemmt wird, nicht nur logistisch, inhaltlich, sondern auch finanziell in Zeiten knapper Kassen. In diesem Jahr also „Recht und Gerechtigkeit“. Zwei Begriffe, die Beziehungen haben sollten, dies aber selten in Einklang bringen. Regelt das Recht noch prinzipiell – und das meist nur in Eriwanschen Dimensionen – das gesellschaftliche Zusammenleben, bleibt von der Gerechtigkeit meist nur das Gefühl, denn wann wird ein Konflikt schon zur Zufriedenheit aller gelöst? Die Bühne ist ein Ort, an dem solche Konflikte verhandelt werden, denn die Fragen von Schuld und Sühne sind von großer Komplexität.
Neben Inszenierungen der arrivierten Regisseure Michael Thalheimer und Armin Petras zeigen die Duisburger die erste große Arbeit von Bastian Kraft. Auf der Bühne stehen der Schauspiel-Newcomer Hadi Khanjanpour von theaterperipherie Frankfurt, aber auch Sabine Orléans und Philipp Hochmair. Den Anfang macht allerdings Constanze Becker als Medea des Euripides vom Schauspiel Frankfurt. Thalheimers Version des weiblichen Racheengels, dessen Liebe von Jason geschmäht wurde, und der daraufhin seine ganze Dynastie ins Unglück stürzt.
Selbst auf dem leeren Bühnenraum wird verhandelt. Doch was macht ein Schauspieler dort, wenn er eine Stunde mit nur einem Requisit, ohne Musik, ohne Bühnenbild den Raum füllen muss und dabei nur von sich selbst erzählen darf? Für den Iraner Khanjanpour, der mit fünf Jahren nach Deutschland kam, ist dies der Beweis hoher Improvisationskunst in einem Mix aus Tragödie und Komödie und „Die Stunde der Wahrheit“.
In diesem Programm fehlen darf „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist natürlich nicht. Die Produktion kommt vom Thalia Theater Hamburg. Bastian Kraft hat die berühmte Gerichtsverhandlung in ein gigantisches Bühnenbild gestellt, von Mief der niederländischen Provinz befreit und hat mit Sabine Orléans einen ausgefallenen Gerichtsrat Walter. Eine Inszenierung, deren Gewicht nicht nur der Dachstuhl zu tragen hat, sondern auch die ausgefeilte Choreografie.
Ausgefallen beim Theatertreffen ist auch der Kino-Abend auf der Großen Bühne mit dem Untertitel „Kino – Essen – Rechtsgefühl“, ein Abend rund um das große Thema „Recht". Es gibt ein Wiedersehen mit Dieter Malzacher und seiner Puppe Dr. Gottschalck, die diesmal während des Rituals der Nahrungsaufnahme durch ein Programm mit Texten, Liedern und Szenen aus mehr als 2.000 Jahren Gerichtsbarkeit führt. Zum Abschluss gibt es Sidney Lumets Meisterwerk „Die zwölf Geschworenen“ auf einer richtig großen Leinwand.
„Theatertreffen 2013“ I 8.-22.3. I Theater Duisburg I 0203 300 91 00
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