Ein Gabelstapler galoppiert durch die Nacht. Es ist der arme Leonardo, der seine Geliebte verloren hat, der nicht mithalten konnte im Hochzeitsreigen der Großgrundbesitzer, der als Ersatz die Cousine heiratet, am Ende sein Leben lässt und dennoch die grausamen Rituale von Unterdrückung und Zwangsverheiratung nicht aufhalten kann. Im Dortmunder Schauspielhaus inszeniert Paolo Magelli Frederico García Lorcas "Bluthochzeit" als eine nackte Tragödie um Schuld und Ehre, als eine Schlacht zwischen Eros und Macht.
Zu Beginn liegen die Mutter und der Bräutigam unterm niedrigen Aludeckendach, trotz Weingut ist ihre Welt durch wechselnde Blutschulden sehr klein geworden. Durch eine Heirat mit der Tochter eines reichen Nachbarn soll dieser Zustand wieder verbessert werden. Der letzte Sohn muss als Pfand für eine Zukunft herhalten, die durch Messer zerstört wurde. Die Mutter gibt dieser Waffe die Schuld, aber eigentlich ist es ein frei gewählter Ehrenkodex, der die Männerreihen lichtet und Frauen zu Witwen macht. Liebe hat in dieser Welt wenig zu suchen, die Braut hat dies widerwillig akzeptiert, war sehr jung und wohl heimlich drei Jahre mit dem armen Leonardo verlobt, doch der kann sich bei Magelli nicht einmal ein Pferd leisten und muss mit dem Stapelgerät durch die Gegend rollen. Der Italiener reduziert Lorcas "Bluthochzeit" auf Kernbilder, die die wahren Ursachen der Tragödie aufzeigen, den Stoff in eine surreale Nichtwelt verlegen, die aber manchmal auch weit von der tödlichen Magie dieser Blutfehden entfernt sind. Leonardos Frau muss schon die Röcke heben, um ihren Mann kurzzeitig bei Stange zu halten, der Vater der Braut vernascht die Magd, doch heiraten würde er sie nie. Das endet alles in einer großen Orgie bei der Hochzeit, wo die Schauspieler nackt über die Bühne kopulieren, um dann erschöpft mit dem Wasserschlauch abgespritzt werden.
Dieses erotische Element ist sehr dominant in der schrillen Choreografie Magellis, das wunderbare Bild der beiden Liebenden kopfüber auf dem Gabelstapler, die noch versuchen mit Sprache die Zeit zu dehnen kann dem leider nicht standhalten.
„Bluthochzeit“ von Federico García Lorca I R: Paolo Magelli I Theater Dortmund
So 5.6., 18 Uhr, Fr 17.6. 19.30 Uhr I 0231 502 72 22
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20
Donna Quichotta der Best Ager
„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/20
Spiegelei, Toast und Tier
„Das Reich der Tiere“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 12/19
Heute geht es auch ohne Brandbeschleuniger
„Biedermann und die Brandstifter“ in Essen – Theater Ruhr 11/19
Desinfiziert und doch tot
„Die Pest“ in Moers – Theater Ruhr 11/19
Wenn Datenberge erodiert sind
„Identität“ in Dortmund – Theater Ruhr 11/19
Biografisches Sightseeing
Babett Grube inszeniert „Alles ist wahr“ in Oberhausen – Theater Ruhr 11/19
Amouröse Programmierung
„Ein Sommernachtstraum“ am Theater Oberhausen – Theater Ruhr 07/19
Mit Drogen locker durchs Leben
Huxleys „Schöne neue Welt“ in Bochum – Theater Ruhr 07/19
Aufm Arbeitsamt wird gesabbert
„Willems wilde Welt“ von theater glassbooth – Theater Ruhr 07/19
Morden als Maloche
Harold Pinters „Der Stumme Diener“ in Essen – Theater Ruhr 06/19
Schaut wie die Kirschbäume fallen
„Der Kirschgarten“ in Essen – Theater Ruhr 06/19