Eine Menschenmenge stolpert auf die Bühne der Bochumer Kammerspiele. Die puppenspielhafte Choreografie lähmt das Gehen, Ziel ist ein Scanner an der Rampe, wie er an Flughäfen und in Gerichtsgebäuden üblich ist. Einer aus der Gruppe traut sich nach vorn, der Alarm ertönt. Klar, irgendwo muss es wohl noch eine metallische Gürtelschnalle oder Ähnliches geben, der Mann entkleidet sich, Alarm, er wird weiter ausgezogen, bis er nackt ist. Alarm. Der Mann sackt zusammen, „sieht aus wie jemand, der versucht, sich an etwas zu erinnern, an irgendetwas, an etwas Wichtiges, das er verloren hat“. So die Auftakt-Regieanweisung von denAutoren Moritz Rinke, Mario Salazar und dem Dichter Ghassan Zaqtan, der die arabischen Passagen geschrieben hat.
Gleich für 17 Schauspieler taugt das Episodenstück. Es erzählt von der Sehnsucht, von verlorenen Schicksalen – und Palästina. Irgendwo in den palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland gibt es seit drei Jahren eine Schauspielschule, die Drama Academy Ramallah mit Sitz in Al Kasaba, einem alten Theater mit Kinosaal. Die Essener Hochschule der Künste ist mit dieser einzigen Ausbildungsstätte für Schauspiel in Palästina verbunden, deren Budget von der Essener Stiftung Mercator und dem Auswärtigen Amt gesichert wird. Gerade haben die ersten Studenten in Ramallah ihren Abschluss gemacht, einen Teil davon bildet die Inszenierung von „Irgendwo müsste es schön sein“ von Johannes Klaus, Professor für praktische Theaterarbeit, und Katrin Lindner. Erstmals stehen deutsche und palästinensische Studierende darin als ein gemeinsames zweisprachiges Ensemble auf der Bühne.
Auf der Bühne hat die Szenerie gewechselt.Jetzt geht es um eine Reise nach Jerusalem.Fünf Freunde haben in ihrem Grand Voyager Hamburg verlassen und fahren auf Landstraßen nach Jerusalem, wo sie die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem besichtigen wollen. Ihr endloser Weg wird per Live-Video und Straßenschilder dokumentiert. Die diskutierten Probleme sind die der westlichen Jugend. Studium, Liebe, Sex, Musik und ein bisschen Politik.
Doch die Reise ist lang, und so gibt es erst einmal eine schnelle Blende ins palästinensische Flüchtlingslager.Ghassan Zaqtan blickt zurück ins für den barbarischen Konflikt bedeutsame Jahr 1949, wo ein Postbote mit seinen Töchtern dort die Briefe der Angehörigen vorlesen muss. Er wird zum Informationsknotenpunkt und zum Ausreiseexperten. Sein ganzes Glück ist seine Uniform, die er ins Lager gerettet hat und die ihm das Gefühl von Autorität verleiht. Nur noch die Alten sind geblieben, alle anderen wandern weg, können nach Schließung der Grenzen nicht mehr so einfach zurück. Das ist auch das Problem von Fatima und Said, die sich kennen und lieben gelernt haben in Amman (Jordanien). Dort haben sie Hals über Kopf geheiratet. Dannkehrte er in die Wüste zurück und sie wieder ins Lager. Nun stellt sie einen Antrag auf Familienzusammenführung nach dem anderen, doch die israelischen Beamten torpedieren das – bis Said gestorben ist und sie sich mit seiner Urne begnügen muss, die eine Flasche ist, und mit der sie am Schluss eine bewegende Zwiesprache hält. „Mit dir hätte es hier schön sein können“ ist der letzte Satz, während sieSaid aufs Fensterbrett stellt.
Alle Passagen der Schauspielschüler aus Ramallah sind auf Arabisch gesprochen worden, die Essener dolmetschten die Dialoge. Doch dieser Sprachenmix hatte einen unheimlichen Reiz, vermittelte er doch auch Authentizität und kulturelle Unterschiede. Das Fragmentarische im Schlaglicht führte zu ungewöhnlichen Choreografien, die live auf der Bühne stattfindenden Kostümwechsel und die offene Technik machten diese Schlaglichter auf einen unmenschlichen Konflikt visuell überaus reizvoll. Nach der Uraufführung gehen Moritz Rinke und Mario Salazar nach Palästina und arbeiten an den Szenen weiter, bis zur nächsten Uraufführung in Ramallah.
„Irgendwo müsste es schön sein“, eine Koproduktion der Folkwang Universität der Künste Essen und der Drama Academy Ramallah IAl Kasaba, Theatre & Cinematheque, Ramallah
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