Eines stellen die beiden Kuratorinnen in der Ausstellung sofort klar: Es sollte eben nicht darum gehen, hervorragende Kunst der 1930er und 1940er Jahre lediglich nebeneinander zu präsentieren. Vielmehr stehen die Bilder und Plastiken für die Geschichte einer bestimmten Zeit, sie weisen auf das Verbrechen an dieser und an den Künstlern hin. „Wir möchten damit die Biographien ins Rampenlicht rücken“, ergänzt Monika Rydiger, die von polnischer Seite diese Ausstellung vorbereitet hat.
In einer Kooperation mit dem Kulturzentrum Krakau, wo die Schau zunächst zu sehen war, und dem Landschaftsverband Rheinland, der das Projekt initiiert und maßgeblich gefördert hat, zeigt das Kunstmuseum Mülheim unter der Leitung von Beate Reese die Ausstellung „Jagd auf die Moderne. Verbotene Künste im Dritten Reich“: Zu sehen sind Werke von deutschen und polnischen Kulturschaffenden, die unter den Nationalsozialisten verfolgt wurden, deren Werke vernichtet worden sind, die selbst Repressalien erleiden mussten und ermordet wurden oder sich ins Exil retten konnten. Das Projekt ist ganzheitlich angelegt, wie Judith Schönwiesner als Kuratorin des LVR betont: Neben den Künstlern werden Schriftsteller wie Else Lasker-Schüler und Mascha Kaléko, aber auch Janusz Korczak anhand von Büchern, Fotos und Korrespondenzen vorgestellt. Weiterhin ist die zeitgleiche Musik von Komponisten beider Länder zu hören, und sinnigerweise befindet sich eine solche Hörstation neben Lotte Prechners Gemälde einer Jazztänzerin (1928). Ja, es geht in dieser Ausstellung auch darum, etwas vom damaligen fortschrittlichen Geist zu vermitteln, als die Moden und die Kultur aufeinander reagierten, bis diese verboten und verfolgt wurden.
Ein Datum für den Terror gegen die Kunst in Deutschland ist die Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 im Münchener Haus der Kunst, der etliche weitere Propagandaschauen und Aktionen folgten. Unzählige Meisterwerke wurden aus den Museen entfernt, die Künstler wurden denunziert, mit Arbeitsverbot belegt und aus ihren Ehrenämtern und Lehrtätigkeiten entlassen; die Ideen der Avantgarde wurden zerschlagen. Freilich setzt der Wahnsinn der Nationalsozialisten schon früher ein, etwa mit Bücherverboten und den Bücherverbrennungen. Ein Teil der Kulturschaffenden tritt die Innere Emigration an, so zieht sich Otto Dix an den Bodensee zurüc, und Oskar Schlemmer findet bei dem Lackfabrikanten Kurt Herberts in Wuppertal eine Anstellung. Die Künstler igeln sich ein, schaffen nun – jedenfalls vordergründig – angepasste Werke ...
Zugleich finden die Judenverfolgungen statt, welche die gesamte jüdische Bevölkerung betreffen. Auch viele der Kulturschaffenden sterben im Holocaust, nur ein Teil kann sich frühzeitig ins Ausland retten, doch auch das ist oft nur vorübergehend ein Ausweg. So floh der Maler Heinrich Maria Davringhausen mit seiner jüdischen Frau über Mallorca, Ancona und Paris nach Südfrankreich, ehe er im Lager von Les Milles interniert wurde. Die Geschichte verläuft in Polen etwas anders, aber nicht besser. Infolge der Kriegsereignisse werden 1939 Teile von Polen vom Deutschen Reich annektiert. Die Nazis fertigen Inventare zur „Jüdischen und Entarteten Kunst“ an – viele dieser Künstler, Musiker, Schriftsteller werden verschleppt und ermordet.
Hauptwerke der Avantgarde
Die Ausstellung stellt einzelne Schicksale vor; neben berühmten Künstlern bedenkt sie auch weniger bekannte und vergessene, was oft an deren Lebensweg liegt. Außer Werken der Avantgarde und solchen mit einem zeithistorischen oder politischen Bezug sind in Mülheim auch solche zu sehen, die einen traditionellen, zeitunabhängigen Realismus zeigen. Und es gibt die gemäßigten Bilder – das trifft etwa auf die abstrahierten Kopfdarstellungen von Oskar Schlemmer zu (1937), die schon unter dem Diktat der Nazis entstanden sind. Übrigens stammt dieses Bild aus dem Bestand des Kunstmuseums Mülheim; ein Teil der Leihgaben kommt aus polnischen Museen, etwa aus dem städtischen Museum Łódz, das vor dem Krieg fortschrittlich gesammelt und einen großartigen Bestand zusammengetragen hat.
Indem der Schwerpunkt der Ausstellung auf den Biographien liegt, ist es durchaus zu verschmerzen, dass nicht von allen beteiligten Künstlern ultimative Hauptwerke zu sehen sind. Und doch ist die Moderne der 1920er bis 1940er Jahre gut repräsentiert. So ist eine abstrakte Skulptur von Katarzyna Kobro zu sehen, in der sie die russischen Konstruktivisten mit reduzierten Mitteln in die Dreidimensionalität weitergedacht hat. Oder eine der berühmten Bronzeplastiken von Otto Freundlich, die Figürlichkeit lediglich in einer kubistischen Kompaktheit andeutet, aber nicht entschlüsselt. Und ausgestellt ist auch eine kleinere Fassung des monumentalen Triptychons „Die geistige Emigration“ von Arthur Kaufmann (geboren 1888 in Mülheim, gestorben 1971 in Nova Friburgo/Brasilien), das im Stil der Neuen Sachlichkeit gemalt ist. Es ist ein Programmbild. Es zeigt in mehreren Reihen etliche der deutschen Emigranten dieser Zeit, darunter im Mittelteil Albert Einstein und Klaus, Thomas und Erika Mann. Ganz am linken Bildrand hat sich Kaufmann selbst gemalt und mit dem Pinsel in der erhobenen Hand in klassische Bildtraditionen gestellt. Im oberen Bereich über die drei Tafeln hinweg ist der blaue Horizont eingezeichnet: Der Weg führte vom Nazideutschland mit dem Schiff über das Meer nach Amerika. Natürlich ist dieses Gemälde auch kennzeichnend für die Ausstellung in Mülheim selbst; es steht für deren Thematik und Notwendigkeit und besitzt ein ausgesprochen hohes Niveau.
„Jagd auf die Moderne – Verbotene Künste im Dritten Reich“ I bis 28. Mai im Kunstmuseum Mülheim in der Alten Post I www.kunstmuseum-mh.de
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