Dass eines Tages ein Bademeister mit dem Literaturpreis Ruhrgebiet ausgezeichnet würde, hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten – auch, wenn der diesjährige Preisträger sich zunächst zum Baumarktleiter und schließlich zum Fußballmanager emporgearbeitet hat … – Fritz Eckenga hat sich in diesen kabarettistischen Rollen, die Bestandteil des Rocktheater N8chtschicht waren oder aber im WDR und anderen Radio- und Fernsehformaten gesendet wurden, ins kollektive Bewusstsein eingebrannt. Doch dass der 1955 in Bochum geborene Wahl-Dortmunder auch als Schriftsteller tätig ist, dürfte weit weniger Menschen bekannt sein, wenngleich seine Bibliographie bereits zehn eigene Titel und zahlreiche Beiträge in Anthologien und Magazinen umfasst. Auch Eckenga selbst ist von dem Preis, der übrigens nach dem „Nieheimer Schuhu“ (2010) bereits sein zweiter Literaturpreis ist, positiv überrascht worden. Auf die Frage, ob er sich je habe vorstellen können, innerhalb der Literaturszene wahrgenommen zu werden, antwortet er: „Darüber habe ich mir so gut wie nie den Kopf zerbrochen. Ich bin ja auch nie mit dem Vorsatz angetreten, dass ich auf eine ganz bestimmte Art wahrgenommen werden will. Die Vielfalt macht’s. Da war die lange Zeit mit N8chtschicht auch prägend. Die Darstellungsformen der Gruppe waren ja sehr vielfältig. Nichtsdestotrotz freue ich mich jetzt sehr darüber, dass das Publikum mich liest, und dass meine Gedichte und Geschichten nicht davon abhängig sind, auf der Bühne ‚präsentiert’ zu werden."
Vom Rettungsreifen zum Rettungsreim
Eckenga zählte zu den Gründungsmitgliedern von N8chtschicht, jenem „Rocktheater“, das in den 1980ern und 1990ern auf den Kleinkunstbühnen Kultstatus erlangte und dessen Mitschnitte sich auch bei der „Generation youtube“ immer noch großer Beliebtheit erfreuen. Damals zählte seine Figur des Bademeisters, der in breitestem Ruhrpottslang die Welt erklärte und zwischendurch Fehlverhalten im Freibad lautstark rügte („Ey!!! Spring nich vonne Seite rein, Kollege! Machse datt zu Hause auch?“), zu den absoluten Publikumslieblingen. Seit einigen Jahren ist er mit Soloprogrammen unterwegs mit so schönen Titeln wie „Du bist Deutschland? Ich bin einkaufen“ oder „Fremdenverkehr mit Einheimischen“. WDR2-Hörer kennen sicherlich auch den Baumarktleiter Peter-Hans Kaltenbecher und seinen Nachfolger Fußballmanager A. Eine Weile schrieb er regelmäßig für die taz, und auch von anderen Zeitungen und Magazinen sind seine Satiren gefragt. In Buchform trat Eckenga zuerst Ende der 1990er Jahre mit Kurztexten und Gedichten in der kleinen, aber feinen Edition Tiamat in Erscheinung. Mehr Beachtung fanden allerdings seine „Rettungsreime“, derer sich der Kunstmann-Verlag 2002 annahm. „Draußen hängt die Welt in Fetzen, lass uns drinnen Speck ansetzen“ – der Titel gibt bereits vor: Eckenga liefert hier Reime, die den Wahnsinn der Welt in distanziertem, verständnislosem Blick offenlegen. Locker-flockig kommt so mancher Reim daher, hinter dem jedoch Abgründe lauern können. Eckenga fühlt sich da ganz der neuen Frankfurter Schule verbunden: „Natürlich lese ich die Gedichte von Robert Gernhardt und F.W. Bernstein. Das sind auch ganz ernsthafte Vorbilder. Als es bei mir ernst wurde, als ich merkte, dass ich das ganz gut kann mit den Gedichten, dass es mir große Freude macht, und dass es manchmal verdammt viel Arbeit ist, habe ich auch immer anhand von Texten der beiden geübt. In Sachen Hochkomik wurde ich außerdem geweckt von Eckhardt Henscheids ‚Die Vollidioten’.“
Häuptling eigener Herd
Zu seinen Vorbildern gesellt sich noch eine weitere Größe der spitzzüngigen Satire: „Kollegen- und Freundeslob ist ja eigentlich verboten. Bei meinem langjährigen Freund Wiglaf Droste muss ich eine Ausnahme machen. Großer Kopf, großes Herz, großer Stil.“ Und so verwundert es nicht, dass Fritz Eckenga zu den regelmäßigen Beiträgern zum Magazin „Häuptling eigener Herd“ zählt, das Droste gemeinsam mit dem Koch und Multitalent Vincent Klink herausgibt und sich der großen Schnittstelle zwischen Kulinarik und Literatur verpflichtet fühlt. Abseits der Satire bevorzugt Eckenga breitgefächerte Lektüre: „Wenn ich wissen will, was ich später noch für schlimme Krankheiten bekommen werde, lese ich den phantastischen Philip Roth. Volker Kutschers historische Berlin-Kriminalromane habe ich gerade entdeckt. Christoph Biermann schreibt hervorragend unterhaltsam und sachdienlich über Fußball, Sue Townsend über das brutal komische, britische Elend und und und...“ Bei diesen Vorlieben keimt jedoch in dem Dichter nicht der Wunsch auf, demnächst einen Roman zu schreiben: „Nein, das tue ich nicht. Ich weiß nicht, ob es mal dazu kommt. Ich schätze, dazu müsste ich mich wirklich mal von all der anderen Arbeit ne Zeitlang lossagen. Und ich weiß nicht, ob ich das überhaupt möchte. Ich finde es ja gerade gut so, wie es ist."
Nicht nur für Dorfbewohner
Außerdem gelingt es Eckenga häufig, das, was andere in Romanen breitwalzen, prägnant in wenige Zeilen zu fassen. Er schreibt über Liebe ebenso wie über Sport – oder auch die Liebe zum Sport. Politik und Essen finden in seinen Texten ebenso Niederschlag wie Szenen des Alltags. Eckenga hat seine Augen und vor allem Ohren überall, trifft den Kern der Dinge ebenso wie die Sprache der Region. Die weite Spanne seiner Interessen spiegelt sich auch in der Gästeliste eines regelmäßigen Formates wider, das Eckenga im Dortmunder Harenberg City Center präsentiert und das stets von WDR5 mitgeschnitten wird. „Mitteilungen für interessierte Dorfbewohner“ heißt diese Veranstaltungsreihe und präsentiert neben Autoren und Kabarettisten auch Schauspieler, Musiker, Tänzer oder Fußballer. So treffen im Dezember die N8chtschichtler Ulrich Schlitzer und Peter Krettek auf den Bremer Stadionsprecher Arnd Zeigler, der seine komplette Welt des Fußballs nach Dortmund bringen wird.
Auch, wenn seine jüngste Auszeichnung Eckenga nun für die Ruhrgebietsliteratur vereinnahmt, steht er solchen Kategorisierungen durchaus skeptisch gegenüber: „Ich weiß auch gar nicht, was das sein soll: Ruhrgebietsliteratur. Es gibt hier großartige Künstler. Die sind aber sehr wahrscheinlich gut, weil sie gut sind. Nicht, weil sie einen Wohnort haben. Was wohl stimmt, ist, dass keiner von denen, die ich schätze, seine Herkunft verleugnet. Das wäre ja auch voll am Leben vorbei und idiotisch."
Aktuelle Bücher:
Alle Zeitfenster auf Kippe, Edition Tiamat, 14 Euro | Fremdenverkehr mit Einheimischen, Antje Kunstmann, 12 Euro
Termine im Dezember:
So. 4.12. Dortmund, HCC | 7./8.12. Dortmund, Fritz-Henßler-Haus
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