Eine Bustour durch Dürrenmatts Güllen. Ein echter Vereinspräsident als König Lear und eine pseudodilettantische Aufführung in einer heruntergekommenen Schulsporthalle. Die Gemengelage eines Theaterabends im Spiegel der Ruhrgebietsrealität war perfekt. Eigentlich fehlten nur noch ein paar Frikadellen auf die Hand, und die Inszenierung wäre nie mehr zu toppen gewesen. „Das ist doch ein Depp“. Der Edel-Zuschauer in Oberhausen meinte nicht Regisseur Schorsch Kamerun, der die fußballtheoretische „Abseitsfalle“ in der hochverschuldeten Kulturhauptstadt neu interpretierte, nein dieser Standardbesucher regionaler Theaterhäuser meinte mich und zupfte ständig nervös an meiner Hose. Schließlich hatten sich seine Begleitung und er schon mal die vermeintlich einzigen Sitzplätze in der Turnhalle gesichert und wollten nun auch freies Sichtfeld quer durch die rund 200 anderen Premierengäste, die zwar stehen sollten, aber eben nicht vor ihnen. So wurden auch sie theatrales Synonym für eine Gesellschaft, die sich einen Dreck um die anderen schert, wenn dann der Egoismus gewahrt bleibt. Politische Haushaltsdebatten laufen ähnlich ab. Hier heißt es erst einmal: Weg mit Kulturausgaben, Hauptsache, keine Straße hat Löcher, und die Außendarstellung bleibt intakt.
Die Stadt Oberhausen ist längst pleite, hat aber noch die größte Einkaufsmeile Europas, hat ein frisches Hexen-Musical, aber bald vielleicht kein Theater mehr. Kamerun will also Theater mit Sponsoring verbinden, lokale Unternehmen haben die Chance, während der Aufführung ihre Werbung loszuwerden. Hoffnungsträger ist auch ein Investor aus Arabien, der entweder den örtlichen Fußballclub oder das Theater kräftig unterstützen will. Petrodollar sollen fließen, zwei Teams müssen sich dafür einem Wettbewerb stellen. Der abgesandte Prinz (Marek Jera) liefert schon mal die Regeln, dann kann auf den Tribünen Platz genommen werden. Die tollen Sitzplätze in der Hallenmitte waren also gar nichts wert. Der Depp sitzt jetzt gut, die Schlaumeier nicht, auch eine gute Lehre. Die Zuschauer sollen am Ende auch abstimmen, wen die Geldpipeline trifft. Merkwürdig, denn so läuft das internationale Sponsoring-Spiel eigentlich nicht.
Doch von Anfang an: Fünf Busse transportieren die Zuschauer in den Ortsteil Osterfeld. Schon während der Fahrt hat die Inszenierung begonnen, das Gelände der ehemaligen Gutehoffnungshütte rauscht vorbei, hier steht heute das „Centro“, eine Mischung aus Einkaufscenter und Vergnügungspark. Die Schauspielerin neben dem Fahrer liefert Daten, Hintergrund für den soften Abend, der so gar nicht wie Theater funktioniert und dennoch ein Schlaglicht auf dessen aktuelle Befindlichkeit liefert. Die Sporthalle wird dann zu zwei Bühnen geteilt. Parallel sehen die Zuschauer den abstrusen Wettbewerb, wo Hajo Sommers, Chef des Fußballclubs Rot-Weiß Oberhausen den König Lear geben muss, während das Team des Oberhausener Theaters, in dem auch der Pförtner mitwirkt, mit Action Painting um die Gunst des fiktiven Sponsors „Arab Petrol“ buhlt, unterstützt vom Sängerbund der Gutehoffnungshütte. In der „Vier Chancen-Tournee“ geht es jetzt für beide um Leben oder Siechtum. Das Spiel mit Grenzen ist überschaubar und ziemlich schnell zu Ende, dramatisch geht es dabei nicht zu, die Werbeblöcke strukturieren ein bisschen. So plätschert es aufs große Finale zu, die Zuschauer entscheiden sich mehrheitlich fürs Theater, doch der Multi dennoch für den Fußballclub. So wäre das im wirklichen Leben auch, und damit ist das Resultat nicht überraschend. Kamerun demonstriert als Resümee noch per Video gegen die Ölmultis, dann geht es zurück ins Theater. Auf der Rücktour hat man dann den Besuch der Alten Dame. Doch Claire Zachanassian besitzt wie im Theaterstück von Dürrenmatt, das wohl auch die Grundstruktur lieferte, bereits alle Oberhausener Filetstücke. Ein munterer Abend war es, kein Spectaculum gegen Kulturvernichtung, Glück auf, rot-weiß, die Zukunft bleibt düster.
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