Das Leben für Theaterstücke-Schreiber ist schwer geworden. Seit Jahren beherrscht eine Figur das zeitgenössische Theater mit zeitgenössischen Stücken, deren zeitgenössische Herstellung nicht nur einst mit einem Nobelpreis, sondern aktuell zum vierten Mal auch mit dem Mülheimer Dramatikerpreis 2011 belohnt wurde. Elfriede Jellineks düstere „Winterreise“, ein Text ohne Handlungsfaden, ohne handelnde Personen, ist neben der wie immer feinen Beobachtung der bösen Finanzwelt oder den inzestösen Machenschaften unbescholtener Bürger eine rauschende Fahrt in ihre eigene Vergangenheit. Als Namenlose auf den Spuren des Wanderers in Schuberts Liederzyklus, aus dem sie Motive adaptiert, verarbeitet sie auch die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, auch die Einweisung ihres Vaters in die Psychiatrie.
Drei zu zwei für Jelinek war das Juryergebnis, wobei sich die zwei Gegenstimmen beeilten, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Preis völlig zu Recht an die Literaturnobelpreisträgerin ginge. Sie hatten sich für die RuhrTriennale Produktion „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat und Jens Hillje entschieden, die als Ausgleich immerhin den Publikumspreis gewinnen. Den Zuschauern gefiel einfach die Vorstellung besser, dass eine Lehrerin mal eine Pistole in die Hand nimmt, um ihren disziplinlosen Schülern mit Migrationshintergrund unseren Heroen Friedrich Schiller beizubringen.
Keine Chance hatte dagegen Oliver Klucks „Warteraum Zukunft“, der noch kurz vor der Jurysitzung in Mülheim gezeigt wurde. In einem zirkulären Mikrokosmos aus Firma, Auto und Heim wälzt sich dort der Ingenieur Daniel Putkammer. Unzählige Anpassungsversuche, Top-Studium mit Referenzen, Hyperflexibilität, Aggressionsschübe durch andauernde Konkurrenz und drohende Ersetzbarkeit sind hier die Früchte der Bildungsgeneration. Das Nationaltheater Weimar wandelt den Warteraum überzeugend um in ein Lager für „Human Ressources“ – aber eben nicht überzeugend genug.
Das gleiche gilt auch für das Auftaktstück „Gespräche mit Astronauten“ von Felicia Zeller, die das Zeitgenössische in der Upper-Class vermutet, Deutschland heißt da Knautschland, die armen Au-pairs haben eher osteuropäische Namen. Zeller verarbeitet wie immer Interviews. Hier mit den rassistischen Schicksen und ihren billigen Arbeitskräften, warum man sich das Stück allerdings anhören sollte, vermittelt sich allerdings nicht, da sollte man sich doch lieber auf die „Winterreise“ begeben oder zu „Rechnitz (Der Würgeengel)“. Oder gleich nach Köln fahren für den kleinen Dreiteiler „Das Werk / Im Bus / Ein Sturz“, alles eben von der Zeitgenossin Jellinek, die ihr 15.000 Euro Preisgeld in Mülheim immer mit den teilnehmenden Kollegen teilt.
Die "Stücke 2011", eigentlich das wichtigste Festival in NRW, sind beliebt. Zu sehen waren sieben Inszenierungen in zwölf Vorstellungen, von denen neun ausverkauft waren. Insgesamt hatte das Wettbewerbsprogramm knapp 3.000 Zuschauer, was einer Auslastung von 94,5 % entspricht. Die 13 Vorstellungen der "KinderStücke 2011" wurden von ca. 1.150 Zuschauern gesehen. Mit dem zum zweiten Mal vergebenen, mit 10.000 Euro dotierten Mülheimer KinderStückePreis wurde Michael Müller für sein Stück "Über die Grenze ist es nur ein Schritt" ausgezeichnet.
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