Regisseur Dirk Laucke ist quer durch Deutschland gezogen, um politische Gruppierungen und wütende Bürger zu beobachten und zu interviewen. Verarbeitet hat er ihre Stimmen nun unter anderem in einem Theaterstück: „Angst und Abscheu in der BRD“. Was der Zuschauer hier im Theater Oberhausen geboten bekommt, ist ein Abend voller lebhafter Eindrücke und oft erschreckender, manchmal zum Schmunzeln bringender Zitate. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit der NS-Vergangenheit und aktuellem Antisemitismus in Deutschland. Schonungslos deckt Laucke festgefahrene Standpunkte und Widersprüche in politischen Bewegungen auf – links wie rechts.
Die Inszenierung karikiert Demonstranten, denen es mehr um den Event-Charakter einer Kundgebung geht als darum, etwas zu vertreten oder zu bewirken. Hierbei schlittert sie allerdings manchmal nur haarscharf daran vorbei, Demonstrationen generell als wirkungslos zu verdammen. Auch gerät sie ab und an bedenklich nah an die gefährliche Gleichsetzung zwischen Rechts und Links, die – bei jeder inhaltlichen oder formellen Überschneidung – sicher nicht gerechtfertigt wäre.
Der Zuschauer wird mit rasch wechselnden Themen und Situationen konfrontiert, wobei es bei allem Sprengstoff, den der Abend zu bieten hat, leider manchmal etwas zu oberflächlich bleibt. Nicht zuletzt dank der hervorragenden schauspielerischen Leistung gelingt es dennoch, nicht in den Klamauk abzurutschen. Besonders gut tritt die Kritik am Journalismus zutage. Die beiden Gonzo-Journalisten Holz (Richard Barenberg) und Zaunmüller (Sergej Lubic) stehen einander rivalisierend gegenüber, der eine ein Boulevardschreiber in Adidasjacke, der andere seriös wirkend im Trenchcoat. Letztlich scheint es in allen Szenen auch immer wieder darum zu gehen: Wer darf was wie berichten, welche Schlagzeile verkauft sich am besten, und wie weit darf man gehen, um an sie zu kommen? Und letztlich: Wo bleibt bei alledem die Wahrheit?
Auch diese Beobachtung scheint prägend in Lauckes Deutschland-Recherche gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund scheint es besonders raffiniert, aus dem Material, was sich auf den ersten Blick gut für eine Fernsehreportage geeignet hätte, ein Theaterstück zu machen – abseits vom journalistischen Genre. Es ist ihm gelungen.
„Angst und Abscheu in der BRD“ I Mi 7.12., 19.30 Uhr I Theater Oberhausen I 0208 857 81 84
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