Mehr braucht es nicht, als einen gedeckten Tisch. Erst kommen die Gäste, dann die Gespräche. Dann die Konflikte. Und was als kultivierte Geselligkeit erschien, bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen, lässt Hass, Ängste und vor allem Weltbilder aufeinanderprallen. AutorInnen wie Yasmin Reza oder Ayad Akhtar verstehen es meisterhaft, solche Dialoge kammerspielartig hochzuschaukeln, bis sich ein bösartiger Abgrund unter der zivilisierten Oberfläche auftut. Bei Lutz Hübner ist es ein wenig anders.
Mit scharfsinnigen Beobachtungen von gesellschaftlichen Konflikten und Diskursen, meist in der wohlsituierten Mittelschicht, verpackt als pointensichere Bühnenunterhaltung avancierten Hübner und Sarah Nemitz zu einem AutorInnen-Duo, deren Stücke in den letzten Jahren wohl am meisten auf deutschen Bühnen gespielt wurden. Etwa zuletzt „Frau Müller muss weg“, ein Stück das schließlich von Erfolgsfilmemacher Sönke Wortmann verfilmt wurde. Letzterer übernahm gleich selbst die Inszenierung der Uraufführung des aktuellen Hüber/Nemitz-Hits, „Willkommen“, im Schauspielhaus Düsseldorf.
Und bei 13 Aufführungen in dieser Spielzeit gehört „Willkommen“ auch zu den Erfolgsstücken dieser Saison. Vielleicht weil es so flott losgeht wie bei dieser Premiere in Essen: Benny (Jan Pröhl) verkündet während eines gemütlichen WG-Diners, dass er ein Jahr lang als Dozent in New York arbeiten wird. Sein Zimmer will er in dieser Zeit Flüchtlingen zur Verfügung stellen, um ihnen auch mal eine Chance zu geben, in dieser Gesellschaft anzukommen. So seine Idee. Aber so richtig kann sich keiner der MitbewohnerInnen für diese Geste der Großzügigkeit und des Engagements begeistern; nur die Fotografin Sophie (Silvia Weiskopf), aber der schwebt auch direkt ein künstlerisches Projekt mit den Geflüchteten vor. Der Bänker Jonas (Stefan Migge) kann vor Beendigung seiner Probezeit nicht den Lärm einer Flüchtlingsfamilie ertragen. Doro (Stephanie Schönfeld), die älteste Bewohnerin , macht dagegen erst gar keinen Hehl daraus, was sie von muslimischen Männern hält. Und als die Studentin Anna (Henriette Hölzel) verrät, dass sie Schwanger ist und schließlich ihren Freund, den deutsch-türkischen Sozialarbeiter Achmed (Halil Yavuz) vorstellt, der nicht gerade mit politisch-korrekten Aussagen auffällt, geht es drunter und drüber.
So ist das geleckte WG-Interieur wie aus einem Möbelhaus (Bühnenbild: Ulrich Leitner) auch schnell Schauplatz für allerlei Konflikte. Regisseur Thomas Ladwig lässt die Figuren durch die unterhaltsamen 90 Minuten hetzen, dass die Klischees Purzelbäume schlagen. Hinzu kommen Situationskomik und eine Prise Slapstick. Raum für Auslotungen der Charaktere bleibt bei dem Tempo nicht, sie dienen hier stereotypisch den Dialogen. Silvia Weisskopfs Sophie ist eine emotionale Zeitbombe, die schnell explodiert – nicht nur als es um die Willkommenskultur geht. Jan Pröhl gibt den fadenscheinigen Anglistikdozenten, der sich als egoistisch und prinzipienlos entpuppt.
Dass am Ende keine geflüchteten Menschen in das Zimmer sollen, sondern ein Ping-Pong-Tisch ist da fast bezeichnend: Auch die Seitenhiebe sind ein Hin und Her im Sitcom-Takt, die Dialoge eine Zündschnur für hoch frequentierte Pointen, die für Lacher im ausverkauften Saal sorgen. Hübner und Nemitz erklärten im Programmheft, dass sie sich mehr Pragmatismus bei den Diskursen über „Flüchtlingskrise“ oder „Willkommenskultur“ wünschen. Dass all diese komplexen Themen schließlich die Schenkelklopfer für diese Klamotte garantieren, ist dann doch zu viel Pragmatismus.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
„Das Risiko war der Neustart“
Die Intendantinnen Christina Zintl und Selen Kara nach ihrer ersten Spielzeit am Schauspiel Essen – Interview 07/24
Glücklich bis ans Ende?
„Star-Crossed Lovers“ in Essen – Prolog 03/24
Sternfahrt zum Shoppen
„Einkaufsstadt, 4300“ von Trio ACE in Essen – Prolog 03/24
Genau die richtigen Gäste
„Steve Coleman and Five Elements“ am Grillo-Theater in Essen – Musik 02/24
„Der Mensch braucht Freiraum, um Sinnloses machen zu dürfen“
Rafael Sanchez über „Jeeps“ am Essener Grillo-Theater – Premiere 12/23
Kann eine KI Puccini übertrumpfen?
„Nessun dorma“ am Grillo-Theater in Essen – Prolog 11/23
Die Gretchengeschlechterfrage
„Doktormutter Faust“ am Grillo-Theater Essen – Bühne 09/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Femizid als dramatischer Höhepunkt
„(Making) Woyzeck“ im Grillo Theater Essen – Prolog 10/23
Täglich 0,5 Promille
„Rausch“ am Schauspiel Essen – Prolog 09/23
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24