Wir Menschen sind mit einem halben Promille zu wenig im Blut geboren worden, das behauptete zumindest einmal der norwegische Philosoph und Psychiater Finn Skårderud. In dem preisgekrönten Kinofilm „Der Rausch“ des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg wollen vier Lehrer diese These auf die Probe stellen. Sie versuchen fortan, einen Alkoholpegel von 0,5 Promille aufrechtzuerhalten. Erschöpft und demotiviert vom Schulalltag erhoffen sie sich, wieder mehr Selbstbewusstsein, Leistungsstärke und Kreativität in ihr Leben bringen zu können – und wollen den Pegel daher auch während der Arbeit beibehalten.
Der Regisseur Armin Petras bringt den Film nun als deutsche Erstaufführung auf die Bühne des Schauspiels Essen. Petras hat sich dazu entschieden, echte Schüler:innen an der Inszenierung mitwirken zu lassen. Vor allem singen oder musizieren sie, doch einige stehen auch selbst auf der Bühne. Petras erklärt: „Die Schüler spielen im Grunde sich selbst – natürlich mit anderen Namen. Oder teilweise spielen sie auch die Kinder von den Figuren“. Denn auch in ihrem Privatleben wünschen sich die vier Lehrer durch das Experiment Veränderungen: etwa eine Annäherung an die eigenen Kinder anstatt des Trotts der täglichen Vaterpflichten. Als ihr Experiment jedoch auszuarten beginnt, versuchen die Pädagogen immer wieder, es aufzugeben, nur um dann meist noch einen Schritt weiterzugehen.
Petras, der selbst in einem ähnlichen Alter wie die Protagonisten ist, findet, dass ihre Midlife-Crisis für ihn näher am eigenen Dasein ist als viele andere Stoffe, an die er sich vielleicht weniger trauen würde. Die Figuren sind in ihren Wünschen und Frustrationen schließlich sehr menschlich: „Das Stück spiegelt große Teile eines verdichteten Alltagslebens wider, die aber immer wieder mit einem lachenden und einem weinenden Auge erzählt werden und eher dazu führen, dass man sich als Gruppe und als Gesellschaft näherkommt“, so Petras. Das Stück ist nicht nur die deutsche Erstaufführung des Films, sondern gleichzeitig auch die Intendanzeröffnung des neuen Leitungsduos von Selen Kara und Christina Zintl am Schauspiel Essen. Petras hatte auch daher großes Interesse an dem Projekt: „Ich bin jetzt quasi der Seniorpartner von jungen Menschen, die eine neue Theaterära erschaffen. Das macht sehr viel Freude, da dabei zu sein“.
Rausch | 23. (P), 29.9., 14., 15., 20.10. | Schauspiel Essen | www.theater-essen.de
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