Die Berliner Polit-Performer EGfKA, Europäische Gemeinschaft für Kulturelle Angelegenheiten, rufen den Ausnahmezustand aus. Die kosmische Harmonie ist hin, die Menschen sind schnell als Schuldige ausgemacht. Als ein Straf-Komet im Anmarsch ist, herrscht Katastrophenstimmung auf der Erde und das Geschäft mit der Angst boomt. Doch rote SpielerInnen erscheinen, sehen, dass es auf dem Planeten auch besser sein könnte, und erklären ihn zum „Anastrophenschutzgebiet“. Wir sprachen mit der EGfKA, die Motive aus Jura Soyfers Stück „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“ von 1936 aufgreift.
trailer: Frau Turnheim, „Und die Zukunft der Erde ist herrlich und groß“ ist der letzte Satz im Roman. Ist das die ultimative Botschaft?
Tina Turnheim (TT): Es ist ja eben auch der Schlusssatz des Jura Soyfer-Stücks, auf das wir uns beziehen. Aber da werden nicht einfach die Augen geschlossen und gesagt, ja, alles ist super und die Erde hat eine großartige Zukunft, sondern es wird sich vorher vor einem sehr düsteren Hintergrund in aller Heftigkeit mit den Problemen der Gegenwart auseinandergesetzt. Und das Fazit ist, dass man trotz alledem nicht aufgeben darf und weiter daran arbeiten muss, dass es vielleicht mal anders wird. Dass es nicht so ist, wie es sein muss, sondern dass es anders sein könnte und dass es eben auch in der Hand der Menschen liegt.
Zur EGfKA
Das 2012 gegründete Berliner Theaterkollektiv EGfKA (Europäische Gemeinschaft für Kulturelle Angelegenheiten) arbeitet im Rahmen der Doppelpass-Förderung mit dem Ringlokschuppen Ruhr zusammen, hinterfragt sozio-politische Entwicklungen und macht sich mit postdramatischen und klassischen theatralen Formen für eine andere Idee von Europa stark. Foto: © EGfKA
Ist denn überhaupt was zu retten und wo ist das Gegenmodell zu den verarbeiteten Schreckensszenarien?
TT: Wir finden schon, dass es da was zu retten gibt, und versuchen gerade zu erforschen, was es für Ansätze zu einer anderen Welt sein könnten. Genau die Welt wollen wir eigentlich nicht nur retten, sondern uns auch davon inspirieren lassen und schauen, was vielleicht auch zerstört werden muss, um etwas anderes zu erschaffen, das dann eben diese großartige Welt sein könnte.
Sabrina Apitz (AP): Was bleiben darf, ist auch eine Frage, die während des Probenprozesses für „Anastrophe Now!“ die ganze Zeit auftaucht. Es geht ganz stark darum, alle Sachen zu hinterfragen und anders zu beleuchten und für diesen Begriff des Anderen haben wir eben die Anastrophe gesetzt. Das ist ein Begriff, der eigentlich eine rhetorische Figur ist, aber auch in ganz vielen anderen Kontexten vorkommt. Wo es eigentlich darum geht, eine Umkehr, eine Drehung zu machen. Im Soziologischen ist es dann auch eine mögliche Wendung zum Besseren. Und genau das ist dieses Gegenmodell, dass man eben sagt, wir machen hier kein Katastrophenstück, denn Katastrophenbilder haben wir alle genug im Kopf. Wir drehen das jetzt um, und so kommt jetzt nicht die Katastrophe, sondern die Suche nach den zarten Pflänzchen, die vielleicht schon sprießen, und nach ganz konkreten Beispielen von emanzipatorischen Projekten.
Das ist natürlich auch ein schönes Spiel mit Worten. Wer sind denn die Protagonisten, die hinterher die Taten begehen sollen, die was ändern?
TT: Wir haben bei uns die Figur der roten Spielerin entwickelt. Das bezieht sich zum Teil auch wieder auf den Autoren Jura Soyfer, der leider sehr wenig gespielt und gelesen wird. Und der auch eine Kabarettgruppe hatte, die sich die „Roten Spieler“ nannte. Das sind Menschen und keine Aliens, das sind Menschen, die sich gefunden haben und die eine Bewegung bilden, die etwas bewegen wollen, am Anfang vielleicht auch noch nicht wissen wie. Die Aushandlungsprozesse mitmachen, die suchen und die tatsächlich weltweit Spuren finden von anderen Versuchen und die diese Spuren, die an unterschiedlichen Ecken der Welt stecken, quasi in ein größeres Bild und in ein Verhältnis zueinander bringen. Da geht es viel um Übertragung, um Ansteckung, weil auch Musik in der Inszenierung eine große Rolle spielt und man von so einem Rhythmus gefangen wird, der sich ausbreitet, der Resonanzen bildet.
Aber es gibt keine konkreten Handlungsanweisungen?
TT: Wir haben keinen 10-Punkte-Plan, den wir allen mitgeben, und ihr müsstet das und das machen und Zeigefinger hier. Aber wir haben sehr viel recherchiert und nach Wegen gesucht, die wir sinnvoll finden. Im Stück geht es einerseits um Beispiele, wie das City Plaza Hotel in Athen. Das ist ein leerstehendes Hotel, wo in der Krise die Mitarbeiter nicht mehr bezahlt wurden, und das sich dann aber angeeignet wurde. Dort wohnen mittlerweile Flüchtlinge drin, die kochen und sich selbst versorgen. Die haben eine Soliparty gemacht und das Geld, das da reinkam, den ehemaligen griechischen MitarbeiterInnen gegeben. Die haben auch ein eigenes Video produziert und sind überhaupt keine Opfer in der Situation, sondern selbstbestimmt, und sagen dann, das beste Hotel der Welt hat keine Sterne und keine Minibar. Aber es ist trotzdem das beste Hotel der Welt. Weil man nicht mehr diese Vereinzelung hat und weil man nicht zahlen muss, dass man da sein darf, sondern man hat sich gemeinsam da ein Zuhause geschaffen.
Warum soll ich eigentlich meinen sachlich untermauerten Defätismus ablegen?TT: Wo führt er denn hin, der Defätismus?
Ins Nichts?
TT: Und das Nichts wäre ja eigentlich wieder eine Akzeptanz von dem, was ist.
Oder in Revolution?
TT: Die ist ja nicht ausgeschlossen, aber nicht leicht zu machen.
Sie sprechen oft vom antifaschistischen Theater. Ist das nicht auch antikapitalistisch und immer jenseits von Stadttheatern?
TT: Also wenn wir einen Begriff wie antifaschistisches Theater verwenden, dann beziehen wir uns auf eine Tradition, die es gab, auf Menschen wie Jura Soyfer oder Bertolt Brecht, für die Antifaschismus und Antikapitalismus eine Sache war. Wo klar war, Faschismus ist Teil von Kapitalismus und solange es Kapitalismus gibt, ist auch Faschismus nichts, was man irgendwo unter der Erde begraben hat und was ein für alle Mal gegessen ist und von dem keine Gefahr mehr droht. Daher muss man beides gleichzeitig bekämpfen. Also man muss antikapitalistisch sein, um antifaschistisch sein zu können und umgekehrt – das ist also für uns etwas, was man gar nicht so trennen könnte.
Aber euer Stück ist nicht nur Soyfer?
TT: Wir arbeiten ausgehend von der Planetentanzszene von Soyfer aus dem Stück „Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang“. Die bietet eine Rahmung für unser Stück. Daneben gibt es sehr viele Texte, die selbstgeschrieben sind, sich entweder auch aus Diskussionen heraus entwickelt haben, oder wir arbeiten, wie beim City Plaza oder anderen Beispielen mit Material, das es gibt und benutzen diese Texte für uns. Dazu kommt noch sehr viel Theoriematerial.
Und wie kann man das bezeichnen? Ist das eine Revue?
SA: Das ist eine gute Frage. Wir haben uns da noch nicht so festgelegt. Es wird auch viele Songs geben. Revue würde ich es jetzt erstmal nicht nennen. Es gibt bestimmt so revueartige Elemente, aber vielleicht wird es auch eher eine gemeinsame Forschungsreise, die aber sehr viele sinnliche Elemente wie Musik und Tanz dabei hat und sich auch auf Agitprop-Traditionen bezieht. Das Ganze ist eine Einladung, sich gemeinsam auf die Suche zu begeben und nicht alles aufzugeben, es weder schönzureden, noch den Kopf in den Sand zu stecken.
Und wo bleiben dann am Schluss die klerikalen Faschisten?
SA: Hoffentlich gibt es die bald mal nicht mehr.
„Anastrophe Now!“ | R: EGfKA | Fr 7.7.(P), Sa 8.7. 20 Uhr, WA im Oktober | Ringlokschuppen Mülheim | 0208 99 31 60
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