Oberhausen. Ruhrpott. Mitten im seit Jahren gebetsmühlenartig artikulierten Strukturwandel packt Theaterintendant Peter Carp Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ in den Spielplan. Das Pulitzer Preis-Stück ist von 1947, als der Süden der Vereinigten Staaten noch so schön apart heidnisch und New York eher proletenhaft war. Das gebeutelte Theater in der bevölkerungsreichsten Stadt Deutschlands ohne Universität oder Fachhochschule schielt dabei natürlich auch auf den aktuellen Abiturstoff der Gymnasien und damit legitim auf jugendliches Publikum.
Und so sitzen die ersten bereits in der Vorstellung, vor sich das aufwändige Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer. Sie hören einen kunstvollen Revier-Soundteppich von Klangkünstler Jan Peter Sonntag und sehen, wie zwei Kulturen aufeinanderprallen, sich verkeilen und am Schluss eher gordisch wieder getrennt werden. Vielleicht haben sie schon mal was gehört von Marlon Brando und seinem Stan Kowalski von 1951, vielleicht auch von Tennessee Williams, der Katze auf dem heißen Blechdach oder dem Mann in der Schlangenhaut. Doch die 160 Minuten-Inszenierung an diesem Abend hat nicht im Entferntesten etwas mit diesen historischen Giganten der Theater- und Filmgeschichte zu tun, hier ist das Ruhrgebiet, nicht Hollywood, hier ist das Centro und nicht der Broadway. Hier soll Kultur erst einmal durch Wandel entstehen.
Und so verwandelt die Inszenierung diesen einst hochpsychologischen Schauspielerkrieg in ein heimisches Kammerspiel mit Blick auf ein gläsernes Badezimmer und den Hausflur, in dem einige Szenen spielen, die oft hinter Bühnenpappe verborgen blieben. Während der Soundtrack den üblichen Ruhrgebiets-Feierabend-Verkehr intoniert, dringt Blanche DuBois eher leicht in die unaufgeräumte Welt von Schwesterchen Stella und deren Ehemann Stanley ein. Beide sind beim Bowling, doch Nachbarin und Freundin Eunice hat nicht nur einen Zweitschlüssel, sie weiß glücklicherweise auch, wo der Hochprozentige steht, so dass es Blanche, als Stella herbeigelaufen kommt, wenigstens warm um die Leber herum ist. Denn sie muss in den schmalen vier Wänden mit Vorhängen vor Bett und Küche bleiben. Der herrliche Familienbesitz ist zerronnen, ihre Stelle als Lehrerin futsch, von den zahlreichen anderen Katastrophen in ihrem Leben wissen Stella und auch der Zuschauer noch nichts.
Dann kommt Stan Kowalski. Pole. Handwerker und Mann. In dieser Reihenfolge und ohne Ergänzung. Er soll das Drama entwickeln und auch beenden. Roh, gewalttätig, direkt ist er, ein Kämpfer ums Überleben, einen primitiven Steinzeitmenschen wird Blanche ihn später nennen. Durchgeschwitzt vom Ausgleichssport betritt er die Wohnung, Stella sitzt gerade im Badezimmerglashaus, das die Jugend ungewöhnlicherweise in der Pause als „das geht doch gar nicht“ empfand, wie die harmlosen „Nacktszenen“ beim Duschen auch. Die unkultivierte Welt prallt also direkt gegen den schönen Schein, zurücklehnen, die Auseinandersetzung kann beginnen. Doch der Oberhausener Kowalski ist nicht Stan, der rohe Klotz, dem die Frau sexuell hörig ist und den die Freunde anhimmeln. Björn Gabriel macht daraus fast einen Sympathen, der sich zurecht um die verlorene Erbschaft kümmert, der sich zwar ein wenig heftig, aber doch liebevoll um seine schwangere Frau kümmert, den die affektierte Art und Weise, mit der ihn Blanche quält, am Anfang eher amüsiert.
Doch auch in Oberhausen eskaliert die Wohngemeinschaft. Denn Stan findet die Wahrheit über die alkoholkranke Schwägerin heraus, die langsam, aber sicher jeden Sinn für Realität verliert und sich verzweifelt an ihre Schwester und an Harold, den gutmütigen Freund des Hausherrn, klammert. Harold Mitchell, genannt Mitch, pflegt seine todkranke Mutter und ist eigentlich Blanches letzte Chance auf Erlösung. Doch unnötige Lügen und Stans Boshaftigkeit zerstören die am Schluss. Elisabeth Kopp ist das Highlight der Inszenierung. Sie transportiert überzeugend Wahn und Niedergang, den Wandel von aristokratischer Haltung zur psychiatrischen Ausweglosigkeit. Blanche, die von Stan auch noch am Geburtstag seines Sohnes vergewaltigt wird, geht widerwillig in die Klinik, doch in Oberhausen hat der Zuschauer das Gefühl, dass damit das Leben von Stella und Stan und ihrem Freund nicht zu Ende ist. Ein interessanter Wandel in der Rezeption. Mal sehen, wie die gymnasialen Deutschlehrer in Oberhausen damit umgehen.
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