Walter Benjamin schrieb für seine Baudelaire-Übersetzung ein Vorwort, in dem er verschnörkelt wie bildhaft die Aufgabe des Übersetzers darstellt. Von einem „Bergwald der Sprache“ ist da die Rede. In diesem befinde sich die Dichtung. Und der Übersetzer steht davor. Oder, wie Benjamin schreibt, „ihm gegenüber und ohne ihn zu betreten ruft sie das Original hinein, an demjenigen einzigen Orte hinein, wo jeweils das Echo in der eigenen den Widerhall eines Werkes der fremden Sprache zu geben vermag.“
Peter Pörtner erwähnt dieses Bonmot an diesem Abend. Denn der Übersetzer von Yoko Tawada musste die Echos der japanischen Sprache vernehmen und sie in den Bergwald der deutschen Sprache holen. Yoko Tawada, die in beiden Sprachen dichtet, sitzt neben ihm und nickt zufrieden, als sie die Ergebnisse hört. Etwa diese Nesselnester, eines dieser poetischen Wortspiele, die sich nicht selten als Zungenbrecher entpuppen, und die Pörtner ins Deutsche übertragen hat.
So auch in „Sendbo-o-te“, Tawadas neuestem Roman. Über diesen sprach die seit den 1980ern in Deutschland lebende Tawada in der Reihe „Dialoge“ mit der Hörfunkautorin Ulrike Janssen. Die Japanerin erzählt darin von einer unbekannten, apokalyptischen Zukunft. Eine Katastrophe ist eingetreten. Kinder werden krank und alte Menschen können nicht sterben. Die japanische Gesellschaft schottet sich von der Außenwelt ab. Ein Motiv für ihr aktuelles Werk war natürlich auch Fukushima. Den Tsunami und den anschließenden Reaktor-Unfall verfolgte Tawada zunächst aus Köln, wo sie lebt. Erst später reiste sie nach Japan, um mit den Menschen zu sprechen. Natürlich hatte sich die Gesellschaft gewandelt. Aber, wie sie in Essen erzählt: „Es ist eine langsame Veränderung, lange vor Fukushima. Das wollte ich zeigen.“
Ihr Protagonist Yoshiro war früher Journalist und bereiste die Welt. Die Worte aus anderen Sprachen hat er sich gemerkt, sie stecken tief in seinem Gedächtnis. Heimlich. Denn Tawada zeichnet eine Gesellschaft, in der diese Worte verboten sind. Womit die Autorin auch einen Mentalitätswandel in der japanischen Gesellschaft darstellt: „Dass sich das Land nach dem Unglück verschließt, entspricht der Psyche der Leute.“ Schon einmal, zur Edo-Zeit im 17. und 18. Jahrhundert, schottete sich die japanische Gesellschaft von der Außenwelt ab. Auch dieses Motiv klingt in Tawadas Roman an. „Die Menschen sind etwa nicht mehr so leichtsinnig, amerikanische Worte zu übernehmen“, sagt sie über ihre Landsleute. In der Vermischung von Sprache – auch in den Anglizismen – sieht Tawada keine Gefahr. „Aber vielleicht in den sozialen Medien“, fügt sie hinzu. Als helfe gegen die zuweilen schroffe Sprache von Twitter und Co. nur Poesie und Wortspiele. Und natürlich die Echos zwischen Bergwäldern.
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