Hinein ins neue Jahr 2011, das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen mit den Marginalien der Kultur. Dennoch dürfen im Ruhrgebiet die reichlich abgesessenen Theatersessel nicht leer bleiben, brauchen sie auch nicht. Die interessanten Inszenierungen der Möchtegern-Metropole gehen einfach weiter: In Essen finden wir uns bereits im Januar im Jahr 2525 wieder (kein Zufall: Das war 1969 ein böser Zager- und Evans-Hit). Warum erklärt die Rückblick-Story: Das Grillo-Theater und seine Umgebung wurden nämlich im Januar 2011 komplett zerstört. Alle digitalen Datenträger, alle Festplatten sind vernichtet: Das kulturelle Gedächtnis einer Epoche wurde gelöscht. Wie soll man sich jetzt erinnern? Bei Ausgrabungen im Foyer des ehemaligen Theaters wurde ein I-Pod mit Audio-Skizzen der Revue „25 Sad Songs” gefunden, die am 29. Januar 2011 Premiere gehabt hätte. Mühsam haben Forscher die darauf abgespeicherten wertvollen Informationen gesammelt und zusammengefügt und präsentieren nun in einer großen Ausstellung im rekonstruierten Grillo-Theater das Ergebnis ihrer Recherchen. Regisseur Thomas Krupa hat sich in seinen letzten Theaterarbeiten verstärkt mit den unterschiedlichsten Zukunftskonzeptionen beschäftigt. Gemeinsam mit dem Komponisten Ari Benjamin Meyers schaut er in der Revue „25 Sad Songs” aus einer fernen Zukunft aufs Heute, auf eine Zeit, in der Kultur noch real existiert und nicht zum bloßen Bestandteil der kollektiven Erinnerung bzw. zum Forschungsobjekt geworden ist. Na, wenn das kein Omen ist! Ein Sauerstoffzelt für die Kulturhauptstadtmacher.
Und irgendwie passend dazu zeigt das Dortmunder Theater auch noch das Stück „Sauerstoff“ von Iwan Wyrypajew. Der 1974 geborene russische Dramatiker beobachtet in seinem 2004 auf den Wiener Festwochen vorgestellten Stück eine Generation im moralischen Vakuum: Menschen auf der Suche nach Sinn und Motor des Lebens – oder dem, was von der Suche übrig geblieben ist. Da trifft Alex aus der Provinz Alex aus der Stadt. Er ist verheiratet, sie eine rothaarige Schönheit. Ein Mord ist geschehen, und nun kann er nach vielen Jahren endlich wieder atmen. Es beginnt eine rasante Reise durch Gedankenwelten und Emotionsfetzen, von religiöser Moral bis zu kommunistischen Ideologien. Wie durch ein wechselseitig benutztes Fernglas studieren, sezieren „sie“ und „er“ die Gegenwart und ihre Wirklichkeiten (Regie: Björn Gabriel).
Wem das zu viel Forschung in Kulturpessimismus und Moralvorstellung ist, dem sei das Highlight im Bochumer Schauspielhaus ans warme Herz gelegt: Armin Rohde spielt den Cyrano de Bergerac in der Regie von Katharina Thalbach. Fertig. Mehr bräuchte man eigentlich nicht mehr sagen. Schon gar nicht über den Mann mit dem großen Riechorgan, der im Namen seines Freundes die schönsten Worte der Liebe für Roxanne fand und ihr seine Liebe ein Leben lang verschwieg. Eigentlich war er aber ein großer Utopist, der zu Zeiten Galileos auch wusste, dass Erde und Mond Welten unter vielen sind und um die Sonne kreisen. Er war mutig in einer Zeit, als die Scheiterhaufen noch schwelten. Doch der Held mit dem flinken Degen fiel 1655 wohl eher einem Anschlag zum Opfer, seine Schriften verschwanden. Vielleicht tauchen sie ja auch irgendwie „in the year 2525“ wieder auf.
Uraufführung im Grillo-Theater Essen: Sa, 29.1. I Premiere im Studio des Theater Dortmund: So, 9.1. I Premiere im Schauspielhaus Bochum: Sa, 29.1.
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