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"Fasse Dich kurz!", R: Johannes Klais/Florian Pawliczek, Deutschland, 2018

Unbequem bleiben

09. Mai 2018

NRW-Wettbewerb bei den 64. Oberhausener Kurzfilmtagen 2018 – Festival 05/18

„Was die Zuschauerzahlen betrifft war es das beste Festival seit 1998, als wir anfingen, diese Zahlen zu erheben“, soviel durfte Festivalleiter Lars Henrik Gass verraten, als er die Preisverleihung diesmal schon am Montagabend eröffnete, ein Novum bei dieser 64. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Auch die NRW-Jury, jeweils für drei Jahre im Amt, ist 2018 neu besetzt. Journalistin und Kuratorin Kathrin Häger, Marita Quaas (Leiterin des Filmforum im Museum Ludwig Köln) und Programmkurator und Künstler Gunter Deller werden bis einschließlich 2020 die Preise im NRW-Wettbewerb vergeben. In diesem Jahr wurden zehn Videoarbeiten aus 245 in NRW entstandenen Einreichungen ausgewählt. Während in den letzten Jahren vor allen Dingen die narrativen Filme überzeugen konnten, waren die dokumentarischen und experimentellen Arbeiten diesmal vielschichtiger.

Florian Pawliczek und Johannes Klais schlossen ihre Trilogie zu überflüssig gewordenen Automaten mit dem Beitrag „Fasse Dich kurz!“ ab. Zuvor warf „Erfrischt einzigartig“ (2016, auch in Oberhausen gezeigt) einen wehmütigen Blick auf die letzten Kaugummiautomaten, „Einwurf Zwanzig Pfennig“ spürte den letzten Kinderfahrgeschäften nach, die verlassen vor Supermärkten und in Fußgängerzonen vergeblich auf begeisterte Kids warten. In „Fasse Dich kurz!“ steht die Telefonzelle als aussterbende Art im Fokus. Auch hier sorgen die zufällig ausgewählten Interviewpartner für Unterhaltung. Ein Mann sitzt auf seinem Balkon in Bochum-Langendreer und lässt seine Vergangenheit in der Nachbarschaft Revue passieren: „Im Chor war ich mal, gehe ich aber nicht mehr hin. Und in die Kirche auch nicht. Weißte was ich da für die Orgel gespendet habe?“. Eine Szene, die wie zufällig eine Telefonzelle im Garten eines Altenpflegeheimes mit vielen Alzheimer- und Demenzpatienten einfängt, verdeutlicht wie anachronistisch aber auch nostalgisch die einst zum Stadtbild gehörenden gelben Häuschen in Zeiten des Smartphones anmuten.

Ebenfalls häufiger Gast in Oberhausen ist Rainer Komers. Als Regisseur und Kameramann hat er bereits in Indien, Jemen, Lettland oder Japan gedreht. Für „Kursmeldungen“ begibt er sich in den hohen Norden Deutschlands. Anhand von Momentaufnahmen ergibt sich in dem fast halbstündigen Werk ein poetisches Bild von Schleswig-Holstein. Ein Landstrich in verschiedenen Jahreszeiten, mal dicht bevölkert, mal menschenleer. Menschen bei der Arbeit, in der Freizeit. Immer wieder das Meer, der Wind an der Küste und mittendrin das Haus der Dichterin Sarah Kirsch, in dem ihr Bruder Lyrik von sich erhängenden Bauern vorträgt. Bei der Ehrung durch die NRW-Jury gab sich Rainer Komers gewohnt unprätentiös und redete lieber über die Themensektion „Das andere Kino“ in der er am selben Tag einen Film von sich aus den späten 1960er Jahren nochmal auf der Kinoleinwand erleben konnte, was ihn sichtlich rührte.

Auf subtile Weise verstörend wirkt dagegen „Hallstadt erleben“: Die Kamera streift durch die zunächst menschenleere Kulisse einer österreichischen Stadt, die irgendwie am falschen Ort zu sein scheint: Palmen vor Geranienkästen, fernöstliche Bergketten, chinesische Schriftzeichen, sehr viele asiatische TouristInnen. Alles wirkt zu schön, um echt zu sein und ist nicht auch der Himmel etwas zu azurblau? Die Kulisse zu pittoresk? Die Auflösung besteht nicht darin, dass der Klimawandel Hallstadt in einen subtropischen Urlaubsmagnet verwandelt hat. Auch digital animiert wird hier nur ein touristisches Wahrzeichen gegen Ende. Regisseurin Julia Weißenberg erzeugt diese unwirkliche Spannung durch die Kombination von Original und Fälschung. Denn in der südchinesischen Provinz steht ein täuschend echtes Duplikat von Hallstadt, das als Touristenattraktion gilt. Die Jury vergab dafür den mit 500 Euro dotierten NRW-Förderpreis.

Morbide Faszination erzeugt zunächst „Das letzte Haus“ von Anna Kindermann. Drei Männer mittleren Alters kaufen im Baumarkt Kiefernholz. „Ist das für eine Verpackung?“ fragt der Verkäufer und die Männer nicken eher unwillig und erwidern „Könnte man so sagen“. Zurück im heimischen Werzeugschuppen wird im Verlauf der wortkargen Bearbeitung des Materials schnell klar, was das Trio baut: den eigenen Sarg. Überlegungen, den Sarg mit Stoff auszulegen, minutiöse Verzierungen mit unzähligen Fischen und der letzte Feinschliff mit Sandpapier lassen das Thema der eigenen Vergänglichkeit in den Hintergrund treten. Das gemeinsame Bauen vereint, die Gedanken an den Tod vereinzeln. Jeder von uns muss zwar den letzten Weg alleine gehen, aber der Tod macht am Ende doch wieder alle Menschen gleich. Eine behutsame Reflexion über den Wert des Lebens. Die erst 31-jährige Regisseurin erhielt dafür den Preis der WDR Westart-Zuschauerjury (dotiert mit 750 Euro). Sowohl im Filmgespräch als auch bei der Preisverleihung bekräftigte Anna Kindermann, dass das Leben nur durch seine Endlichkeit Sinn ergebe.

Mit dem Preis für den den besten Beitrag zeichnete die NRW-Jury Marian Maylands filmischen Essay „Eine Kneipe auf Malle“ aus. Mit abgelaufenem Super-8-Material hält Mayland darin fest, wie eine NPD-Demo in Essen an ihm vorbeizieht. Ebenso wie unser Gehirn die grobkörnigen, kaum erkennbaren Schemen zu einem Bild zusammen setzt, ergeben auch die Fragmente von Maylands Off-Kommentar eine stimmige Beschreibung der gegenwärtigen politischen Situation in Deutschland. Mayland zählt Fakten auf, lässt Zahlen im Raum stehen und nachwirken und verweigert einfache Antworten darauf, wie mit Populismus und Rechtsextremismus, der weiter in die Mitte der Gesellschaft zu wandern scheint, umgegangen werden soll. „Eine Kneipe auf Malle“ bereits auf dem „blicke Filmfestival des Ruhrgebiets“ Ende 2017, wo er mit dem trailer-Querdenkerpreis ausgezeichnet wurde. Die Jury vergab den mit 1000 Euro dotierten Preis mit der Begründung: „Essayistisch und vielschichtig reflektiert Marian Maylands Film über die gesellschaftspolitischen und populistischen Umbrüche, die keineswegs so harmlos daherkommen wie der Titel.“ Der Regisseur selbst ist in der Woche zuvor Vater geworden und konnte den Preis daher nicht selbst in Empfang nehmen. Er ließ aber ausrichten: „Ich hoffe, dass mein Kind in einer Welt aufwachsen kann, in der Filme wie meiner überflüssig sind“.

Manches blieb auch bei der 64. Ausgabe beim Alten. Der mit 8.000 Euro dotierte Große Preis der Stadt Oberhausen, den die Jury aus Katie Davies (Großbritannien), Kristy Matheson (Australien), Peter Milat (Kroatien), Timo Soppela (Finnland), Daniel Queiroz (Brasilien) vergab, ging an Regisseur Deimantas Narkevičius aus Litauen und seinen Film „Dėmės ir įbrėžimai“ (Flecken und Kratzer). Die Jury befand „Dieser Film ist eine einzigartige Erkundung dessen, was die Kinoerfahrung sein kann“, der Autorin verschließt sich die kunstvolle Kombination von Fotografien und Kratzern auf Zelluloid, die auch mit 3D-Brille nicht mehrdimensionaler wirken wollte.

Zwei Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Zum einen „The Lost Head & The Bird“ von Sohrab Hura (Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und lobende Erwähnung e-flux-Preis) aus Indien. Ein schwarzer Bildschirm dient als Hintergrund für die Geschichte einer Frau, der der Kopf abgerissen wurde, wovon sie selbst berichtet. Bildfetzen blitzen auf, in sich stetig erhöhender Frequenz. Doch das fertige Bild bleibt nicht, wird durch ein weiteres ergänzt bis sich der Bildwechsel in ein infernalisches Crescendo steigert, bei dem Fragmente des Lebens in Indien um Gewalt, Sexualität, Religion und Politik aufblitzen.

Mehrfach ausgezeichnet wurde außerdem „Gimny Moskovii“ (Die Hymnen Moskaus). Neben dem e-flux Preis erhielt Regisseur Dimitri Venkov den FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik. Auf dem Soundteppich aus elektronischen Variationen der sowjetischen und russischen Nationalhymne schwebt hier die entfesselte Kamera durch ein menschenleer wirkendes Moskau. Die Perspektive ist dabei buchstäblich auf den Kopf gestellt. Stalins Zuckerbäckerbauten gehen in moderne Architektur über. Beide Stile wirken nicht minder bedrückend, verlieren aber aufgrund der ungewohnten Sicht ihre Monumentalität. Statt daran zu kratzen, hängen die Bauten wie federleichte Wolkenstädte in einen blauen Himmel hinab.

Eine ungewohnte Perspektive einzunehmen, die Dinge auf den Kopf zu stellen und unbequem zu bleiben – das zeichnete Oberhausen auch in diesem Jahr aus. Und diese Konsequenz wird sich auch 2019 hoffentlich nicht ändern.

Alle PreisträgerInnen auf einen Blick: www.kurzfilmtage.de/preistraeger-2018

Maxi Braun

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