„After Midnight“ von Florian Heller ist ein tiefer Blick in Gläser und Abgründe mit Songs von Clapton, Cash und Cohen. Zusammen mit Regisseur Christian Tombeil erklärt er, welche Muster es in den Lebenswegen dieser drei Musiker gibt und wie sie eine wilde Geschichte generiert haben.
trailer: Herr Heller, Herr Tombeil, das Stück hört sich nach Tarantino an.
Florian Heller: Ein bisschen Tarantino steckt drin. Aber das ist auch dem Wunsch geschuldet, lakonische Dialoge einfach mal stehen lassen zu können. Weil bei so einem Liederabend die Songs viel erzählen und man schauen muss, dass man nicht die Inhalte der Songs in den Dialogszenen doppelt, sondern dass man so eine Parallelrealität zu diesen Liedern schafft und die auch interessant bleibt. Und man muss Situationen zu finden, wie man das überhaupt legitimiert, dass während da großartige Musik läuft, irgendwie vier Leute in einer Kneipe abhängen. Die Grundidee ist, dass man im Stück wie in einem Blizzard eingeschneit ist und nicht mehr rauskommt, das ist natürlich ein bisschen wie Tarantinos „The Hateful Eight“, das ist aber auch Agatha Christies „Die Mausefalle“. Man muss für solche Sachen nicht Tarantino bemühen, aber dieser runtergekommen-schäbige Laden an der Grenze zum Nichts, da könnte einem jetzt auch ein Serienmörder begegnen oder ein gealterter Drogendealer mit Pumpgun. Das eröffnet diese Möglichkeitsräume, diese Situationen, die bei Tarantino immer wieder auftauchen, wenn man denkt, da kann einem einfach alles passieren. Wir haben am Anfang auch viel über „Out of Rosenheim“ von Percy Adlon gesprochen, der auch irgendwo im Nichts spielt.
Christian Tombeil: Das Bild im Kopf ist natürlich auch wie Edward Hoppers „Nighthawks“, diese Menschen einsam in dieser Bar, diese Kälte, nichts mehr da – auch damit hat es ganz viel zu tun. Wir haben für das Spielzeitheft irgendwie versucht, Schubladen gerecht zu werden. Da steht Grindhouse-Liederabend drin, weil wir gesagt haben, es ist kein Musical, es ist kein Liederabend, es geht nicht um Clapton, Cash und Cohen, diese Namen fallen nicht einmal. Für die Profis wird es aber interessant wegen des vielen biografischen Materials bis hin zu wörtlichen Zitaten, die im Text verarbeitet sind.
Aber ist das nicht doch ein Musical oder ein Schauspiel mit Playlist?
FH: Nichts davon. Ein Musical würde bedeuten, ich habe eine Geschichte und schreibe Musiknummern in diese Geschichte rein, die sich an der Handlung orientieren. Hier ist es aber irgendwie umgekehrt und das teilt das Stück zwar mit einem klassischen Liederabend, dennoch gibt es hier sich überlagernde Ebenen, die parallel verlaufen.
CT: Das Stück fängt an mit dem Satz: „Stellen Sie sich unser Universum vor. Nein, warten Sie, stellen Sie sich nicht nur Milliarden und Abermilliarden Haufen von Sternen, Planeten und Staub vor, die durch die schwarze Unendlichkeit treiben, sondern eine unendliche Anzahl paralleler Universen, so viele, dass nicht nur alles möglich scheint, sondern das jede nur denkbare oder undenkbare Möglichkeit in einem dieser Universen tatsächlich Realität ist.“ Was wir wissen ist, Cash und Clapton haben sich getroffen und zusammen musiziert, aber alle drei haben sich möglicherweise mal irgendwo getroffen, das kann man nicht ausschließen, aber Musik haben sie nicht zusammen gemacht. Aber wir merken auf einmal, wie diese Songs, obwohl die nie miteinander musiziert haben, doch ganz ähnliche Dinge ausdrücken.
Clapton, Cash und Cohen sind für mich schon ein recht krudes Blues-Triumvirat aus Rock, Country und Folk der 1970er. Warum tauchen in so einer Welt nicht Velvet Underground oder Iggy Pop auf?
FH: Als alter Punk hätte mich Iggy Pop natürlich auch interessiert. Aber der Auftrag lautete nun mal, wir wollen einen Abend zu diesen drei C‘s machen und am Anfang habe ich auch gedacht: „Das ist jetzt aber eine Buchstaben-Spielerei.“ Spannend wird es, wenn man sich die Lebenswege dieser drei anschaut und die Muster entdeckt, die da immer wieder kommen. Ich finde es persönlich am spannendsten, wie das musikalisch ineinandergreift. Die Band The Hawks und Hajo Wiesemann sind auch daran beteiligt. Das wird nicht nur vom Blatt runtergespielt, sondern da wird auch dran gearbeitet.
Bei Clapton geht es aber wohl nicht um die Cream-Zeit, eher um seine Solo-Sachen?
CT: Es gibt eine Dokumentation, in der Ausschnitte aus ungefähr 15 Jahren Live-Auftritten von Clapton gezeigt werden, und in der er gefragt wird, warum er eigentlich überwiegend fremdes Zeug spielt. Das kontert er ganz liebevoll mit: „weil ich einen guten Song interpretieren will, einfach weil er gut ist. Als ich ‚I Shot the Sheriff‘ gecovert habe, gab es keinen besseren Song gegen Gewalt gegen Schwarze. Warum soll ich einen neuen Song singen?“ Und die JJ Cale-Nummern hat er zu Topnummern gemacht und nicht JJ Cale. Und da ist auch der späte Johnny Cash mit dieser unfassbaren Depeche-Mode-Nummer „Personal Jesus“. Das Covern ist echt interessant. Und deswegen ist diese Rick-Figur, die Clapton zugeordnet ist, spannend und eigentlich die normalste Figur, die ist dicht angebunden an die Frauenfigur. Man darf eben nicht vergessen, diese Frauenfigur, ohne die geht es nicht. Sie ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte – und alle drei haben ja unfassbare Weibergeschichten gehabt, die sie in ihren Songs verarbeiten.
FH: Ich sag mal so, man hätte natürlich einfach einen Best of-Liederabend machen können. Aber wir haben jetzt schon Songs drin, die man bei einem reinen Best of nicht reingenommen hätte.
Und vier einsame Seelen reichen im Advent in Essen?
FH: Da kommen ja noch vier Musiker dazu. Also eigentlich acht.
„After Midnight“ | R: Christian Tombeil | 14.(P), 21., 28.12., 10.1. je 19.30 Uhr | Grillo-Theater Essen | 0201 812 22 00
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