Wer sagt, Kabarett muss bitterböse sein oder glaubt, Kabarett hat gefälligst einen Bildungsauftrag zu erfüllen? Wir kennen doch die Wahrheit meistens schon, bevor sie hier für uns ausgesprochen wird. Dient Kabarett vielleicht eher dazu, uns das Gefühl der Ohnmacht zu nehmen, sich die Machtlosigkeit einfach von der Seele zu lachen? „Ich bin nicht allein“, „ich hatte doch Recht“, „ja, genau so ist es, der sagt es auch“, „Kabarett ist toll, du musst wirklich mal mitkommen. Das, ist echt was für schlaue Leute“, „ich habe schon eher einen anspruchsvollen Humor“ – Eigenlob, Erkenntnisse und Gedanken im Zusammenhang mit politischem Kabarett, welche die eigene Leistung des Lachens, Verarbeitens und Verstehens leider oft etwas überbewertet. Der fast schon surreal anmutende Glaube, Zuschauen und Teilhaben sei wie Helfen, wird nicht selten auch von den Künstlern selbst kritisch miteingebaut. Der besagte Bildungsauftrag eben. Denn dort, wo jemand sich bereits die Mühe gemacht hat, bestimmte Wahrheiten aufzubereiten und auszusprechen, die man selbst nur sehr ungerne öffentlich debattieren würde, können Mantel, Masken und sozio-politische Verantwortung endgültig abfallen. Wir haben nämlich nicht nur jemanden vor uns, der uns das Denken, Handeln, Anpacken, Aufklären, Helfen und Gutmensch sein abnimmt, sondern fühlen uns auch, als dazugehöriger Teil des Ganzen. Im Konzertsaal oder Café sind wir uns also alle eine Zeit lang recht ähnlich und mal ehrlich: Wenn es bereits so viele von denen (uns) gibt, dann wird sich das alles schon irgendwie regeln.
Doch ohne gute Connections geht da nichts. Das weiß auch das Duo „Onkel Fisch“ nur zu gut, das mit „Neues aus Lobbythek“ auf Vorteilsfang war. Für den Eintritt an diesem Abend konnten die Gäste von den beiden Bühnen-Lobbyisten, den Schauspielern Adrian Engels und Markus Riedinger, nicht nur einiges über gewiefte Rebellen und echt beängstigende Gangster lernen, sondern wurden noch dazu höchst niveauvoll, wahnsinnig rasant und sehr abwechslungsreich unterhalten. Vielleicht wurde hier aber doch nur etwas verkauft und niemand hat es bemerkt? Möglich wärs! Denn einige der prägnantesten Stilelemente des 1994 entstandenen Duos, das vielen z.B. noch durch die 1-Live-Comedy-Serie „Sataan“ bekannt sein dürfte, entstammen alltäglichen Werbespot-Paradigmen sowie klassischer Kaufmannslehre. Da wird z.B. ein Vorsorgemedikament gegen die neue (erfundene) Volkskrankheit „Gastropneumatik“ (schlichtweg: Rülpsen) laut, wie auf dem Fischmarkt, angepriesen und eine mögliche Zielgruppe per Fragebogen bestimmt. Dieser erfasst z.B., ob man ab und zu mal wütend ist, nicht immer Lust auf Sex hat oder schwitzt. Im letzteren Fall, leiden Sie wahrscheinlich, wenn es nach Onkel Fisch geht, unter sog. Prä-hypertonie. Möglicherweise entstehe daraus, irgendwann sogar echter Bluthochdruck. „Onkel Fisch“, ständig verwickelt in hitzige Debatten und Dialoge mit sich selbst, Handy und Publikum, rechnet vor: Einer der Anwesenden Gäste, könnte wahrhaftig zu den statistischen zehn (von insgesamt 1000 als hypertonisch diagnostizierten Patienten) möglicherweise geretteten Herzinfarktpatienten gehören, die nur noch durch die Einnahme eines modernen, inzwischen auch standardisierten, Vorsorgepräparats überleben konnten. Gleichzeitig fragt man sich jedoch, wie eigentlich die 990 Personen damit überleben, ein Medikament verabreicht zu bekommen, das sie eigentlich gar nicht brauchen. Bluthochdruck ist die deutsche Volkskrankheit Nr. 1 und würde inzwischen, bei jedem zweiten Patienten unter 18 Jahren diagnostiziert. Eine, von mehreren unfassbaren Zahlen dieses Abends, doch Onkel Fisch wird es schon wissen und nicht einfach nur so für miese Stimmung sorgen.
Ebenso unglaublich ist, wie schnell, dynamisch, gekonnt, authentisch und meistens perfekt getimet sich die beiden Protagonisten durch ständig wechselnde Stilkonzepte wurschtelten, ohne je den ernsten Hintergrund aus den Augen zu verlieren. Natürlich hat nicht nur die etwa 42 Mrd. Euro schwere Pharmaindustrie ihr Fett abbekommen. Da hat das deutsche „Lobbyparadies“, das schon lange keine Kriege mehr führt, sondern inzwischen vorbildlich als drittgrößter Waffenexporteur „Verantwortung übernimmt“, noch einiges mehr zu bieten: Engels und Riedinger, gaben nun brisante Interna zum Besten und so erfuhren die Zuschauer z.B., dass es sich bei der Erschießung Osama Bin Ladens nur um eine Promotion-Aktion für den deutschen Waffenhersteller Heckler und Koch gehandelt hatte.
Dass die Handraute (Merkels), in der Waffenlobby, bereits als „der Mercedesstern des deutschen Panzerbaus“ bekannt ist, erschien hingegen fast schon als bekannt. Das „Peace“- und das „Euro“- Symbol harmonieren übrigens dazu in wandelbarer Transzendenz – worauf inzwischen „auch Copyright“ erhoben wurde. Egal, ob Volkswagen inzwischen „Volks WalkingDead“ heißt oder der Weltklimabericht von der „vegetarischen Öko-Al-Qaida“ (Weltklimagipfel) rausgekramt werden musste, alle spürten, dass Deutschland zum Glück noch ein Land mit „echten Werten“ ist.
In einer fiktionalen Forumsdiskussion à la „Hart aber fair“ wurde dann der „wir sind keine Asis, nein wir haben Abitur“-Song gespielt und so gezeigt: „Reden kann so einfach sein“. Immer wieder wurde die Show mit ähnlich durchdachten Songs oder z.B. durch Rap- und Tanzeinlagen oder Werbespots zu kontroversen Themen ergänzt. Und wenn es wirklich brannte und sich die Lobbyisten wirklich mal von etwas bewegt zeigten, gab es, in gewohnter TV-Manier, einen akuten Brennpunkt. Dort wurde dann z.B. dringend mit einem „Experten für Nichts“ gesprochen oder eine Statistik analysiert, die genau „nichts“ aussagt. „Ist das noch Journalismus? Ist das Demokratie?“ Fragen, die an das Publikum gestellt werden. Durch spürbare Spielfreude und die meist freche und offene, manchmal auch gewollt-schmierig und teuflisch-charmante Art der beiden Comedians wurde jede Szene ein Erfolg beim Publikum.
Dann waren da noch die selbst übersetzten Obama/Putin Pressekonferenzen auf Englisch und Russisch und eine geradezu perfekte Heinz Sielmann-Parodie, der den Lobbyisten in freier Natur, in der Nähe der Espressomaschine, sehr authentisch, als "raffgierige Beutelratte“ beschrieb und beobachtet. Diese „arbeitet zwar tagsüber, ist jedoch nachtaktiv“ und schlägt Fressfeinde mit seiner 'mächtigsten Waffe, dem falschen Lächeln' in die Flucht. Alles in allem, ein perfekter, runder Kabarettabend, ohne schwaches Glied und zwei Darstellern, die vielseitiger nicht sein könnten. Das Konzept kann ohne weiteres in den obersten Ligen des deutschen Kabaretts mithalten.
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