Das ist so eine Sache mit Max Frischs Lehrstück ohne Lehre. Biedermann und die Brandstifter ist ein zeitloses Stück, weil ein Theater die Grundthese immer und immer wieder zeitgenössisch adaptieren kann, denn Arschlöcher und Dumpfbacken sterben nie aus, diese Form menschlichen Daseins ist in der Doppelhelix Aller von Anbeginn an vorprogrammiert, allerdings wandern glücklicherweise nur bei einer begrenzten Anzahl Kohlenstoffeinheiten die Daten über die falschen Wasserstoffbrücken. Am Düsseldorfer Schauspielhaus will Regisseur Adrian Figueroa, der dort bereits das dystopische Zukunftsstück „Das Tribunal“ von Dawn King zur Uraufführung brachte, Frischs Brandstifter auch lieber auf die Gegenwart beziehen.
Also geht es auf der Bühne wieder los im Haus von Gottlieb Biedermann. Der ist ein (auch zeitlos) reicher Haarwasserfabrikant, brutal an Profit orientiert, natürlich herzlos, aber religiös und gesellschaftlich auf der Höhe. Ihn nerven diese Brandstifter, die die Stadt unsicher machen, sich auf Dachböden einnisten und die reichen Hütten dann abbrennen – ein Übel, das schnell beendet werden sollte. Biedermann hat schließlich Wichtiges um die Ohren. Gerade hat er noch gnadenlos einen Angestellten (Knechtling) abserviert, jetzt steht auch noch ein Hausierer an seiner Tür. Josef Schmitz ist ehemaliger Ringer, aber eben auch geschickt mit parfümierten Worten, die er dem Fabrikanten um den Bart schmiert. Dieser lässt ihn selbstgefällig auf seinen Dachboden.
Spätestens hier beginnt der Zuschauer auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen, denn er hat den dramaturgischen Ablauf begriffen und ab jetzt fragt er sich nur noch, wieso niemand die Wahrheit erkennen will, ganz im Gegenteil, die Opfer helfen den Tätern quasi aktiv. Frisch hat hier eine universale Tatsache ins Stück geschrieben, denn wenn sich das Unheil erst einmal etabliert hat, will es niemand mehr erkennen, selbst wenn die Zweifel am Tun übermächtig werden. Da ist kein Teufel am Werk, sondern nur die Dummheit selbst. Siehe Klimawandel, Artensterben, selbst bei desaströsen US-Präsidenten ist das so. Ein Lehrstück par excellence. Auf in die Landeshauptstadt. Da gibt es genug „Biedermänner“.
Biedermann und die Brandstifter | 1. (P), 8., 30.10., 5.11. | Düsseldorfer Schauspielhaus | www.dhaus.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Gefangen genommen wegen der Liebe
Oscar Wilde - Musiktheater im D’Haus
Intimes auf der Bühne
Bachmann/Frisch-Briefwechsel im D‘Haus
Waffen als Hobby
„Kriegsspiele“ am Düsseldorfer Schauspielhaus
Offen und ambitioniert
Andreas Karlaganis wird neuer Generalintendant in Düsseldorf – Theater in NRW 12/24
Poetik einer Beziehung
Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch im D’haus – Lesung 06/23
Eltern vor Gericht
„Das Tribunal“ im D’haus
Storm recycelt
„Schimmelreiter“-Inszenierung im D’haus
„Ich liebe die Deutungsoffenheit“
Regisseur Roland Schwab über „Parsifal“ am Essener Aalto-Theater – Interview 03/25
„Die Kraft des Buchs besteht in der Aufarbeitung“
Bettina Engelhardt inszeniert Bettina Flitners Roman „Meine Schwester“ am Essener Grillo-Theater – Premiere 03/25
Was wirklich in den Sternen steht
„Liv Strömquists Astrologie“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/25
Tanzende Seelen
„Dips“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 02/25
„Eine Frau, die förmlich im Leid implodiert“
Regisseurin Elisabeth Stöppler über „Lady Macbeth von Mzensk“ in Düsseldorf – Interview 02/25
Nichts für Konfirmand:innen?
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ in Bochum – Prolog 02/25
„Die perfekte Festung ist das perfekte Gefängnis“
Ulrich Greb inszeniert Franz Kafkas „Der Bau“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/25
Wenn Hören zur Qual wird
„The Listeners“ in Essen – Prolog 01/25
Zwischen Realität und Irrsinn
„Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Prolog 01/25
Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Wenn die Worte fehlen
„Null Zucker“ am Theater Dortmund – Prolog 01/25
„Ich war begeistert von ihren Klangwelten“
Regisseurin Anna-Sophie Mahler über Missy Mazzolis „The Listeners“ in Essen – Premiere 01/25
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24