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Volker Lösch
Foto: Stefan Arend

„Der ganze Essener Norden soll verschwinden“

08. Dezember 2021

Regisseur Volker Lösch über sein Theaterstück „AufRuhr“ – Premiere 12/21

trailer: In der Ruhrregion, wo elf kreisfreie Städte um ihr Renommee kämpfen, ist da Gentrifizierung auch eine Möglichkeit der Selbstdarstellung? Wer die schöneren Stadtteile hat, hat eben Vorteile in der selbst ernannten Metropole.

Volker Lösch: Es ist die logische Folge eines Systems, das darauf zielt, Ungleichheit zu kultivieren und auszubauen. Das ist ein Prozess, der seit 30, 40 Jahren täglich voranschreitet und durch die letzte Wahl und mit dem Bündnis, das dort entstehen wird, auch nicht aufgehalten wird. Gentrifizierung ist die unmittelbare Folge davon, also die Verdrängung von ärmeren Menschen aus meist attraktiven Wohnlagen in Teilen der Stadt, die sie sich nicht mehr leisten können. Das ist Bestandteil dessen, was wir auf der Bühne verhandeln werden. Gentrifizierung ist aber nur ein Aspekt unseres Stücks, es geht bei uns um das große Ganze, die destruktiven Strukturen unseres Lebensmodells. Das erzählen wir anhand eines großen fiktiven Bauprojekts: „Essen 5.0“ – der ganze Essener Norden soll verschwinden, um einen neuen Stadtteil zu errichten. Große Bauprojekte wie der BER oder „Stuttgart21“ repräsentieren das alte kapitalistische und größenwahnsinnige „Weiter so“, die Kultivierung des nicht nachhaltigen Wachstumsgedankens und die fortgesetzte Klimazerstörung. Und die Verdrängung der Vielen zum Vorteil von wenigen.

Bei der Tragödie um Umverteilung war Widerstand immer machbar, blieb aber gegen das Kapital stets zwecklos. Ist das das eigentliche Lehrstück?

Das ist die große Frage: Warum eigentlich? Wieso gibt es keinen erfolgreichen Widerstand gegen offensichtliche Ungerechtigkeiten, unter denen die Mehrheit leidet? Umverteilung findet ja statt, nur eben seit 40 Jahren von unten nach oben. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind dramatisch groß. Jetzt haben wir bizarrerweise in dieser extremen Situation eine mögliche Ampelkoalition, die dieses Thema überhaupt nicht angehen wird. Es war überhaupt keine Rede davon, dass irgendwelche Steuern erhöht werden sollen, geschweige denn eine Vermögenssteuer eingeführt soll. Die Besteuerung von Superreichen wäre ein Instrument für Umverteilung. Das wären Billionen, die in die Kassen spülen würden, um an anderen Stellen öffentliche Projekte zu fördern, um Hartz IV abzuschaffen, um tausende soziale Sachen zu machen, die man machen müsste. Das zweite ganz große Thema, Klimazerstörung, hängt auch damit zusammen. Denn das Primat des Kapitalismus mit dem ewigen Wachstum auf einem Planeten, der endliche Ressourcen hat und mit den zwei Prozent, die man da jedes Jahr haben muss, führt ja dazu, dass man Ungleichheit nicht angeht. Weil man ja scheinbar diejenigen braucht, die ganz oben ganz viel Geld haben – und die Konzerne, da sie angeblich Arbeitsplätze schaffen, je mehr man sie steuerlich entlastet, was längst widerlegt ist. Also geht die Vernichtung des Planeten einfach weiter. Der einzige Unterschied zu den letzten 10, 20 Jahren ist, dass es inzwischen fast alle wissen, und sich trotzdem dafür entscheiden, Parteien zu wählen, die das „Weiter so“ betreiben. Dafür steht bei uns symptomatisch das Bauprojekt „Essen 5.0“, wogegen im Verlauf der Geschichte viel Widerstand aufkommt. Also bei uns gibt es ihn, den Widerstand.

„Wir erleben täglich die Auswirkungen von struktureller Gewalt“

Aufruhr ist ja doppeldeutig, heißt auch massive Zusammenrottung. Sollen wir doch wieder weg von der Gewaltlosigkeit?

Das ist eine Frage, die man stellen muss. Es gibt ja unterschiedliche Dimensionen von Gewalt. Gewalt muss ja nichtheißen, dass ich mein Gegenüber töte, Gewalt kann auch ziviler Ungehorsam sein. Die Menschen, die gerade in Lützerath die RWE-Bagger besetzen, üben ja aus konservativer Sicht auch Gewalt aus, weil sie Prozesse verhindern, die angeblich legitimiert sind. Und diese Art von Gewalt gegen Auswirkungen von struktureller Gewalt muss diskutabel sein. Wir erleben täglich die Auswirkungen von struktureller Gewalt, die inzwischen unseren Planeten und damit die Lebensgrundlagen aller bedroht, und da soll man sich nicht wehren dürfen?

Jugendliche und junge Erwachsene bilden die Chöre – wo ist deren Utopie? Läuft das auf Besitzstandauflösung, Enteignungen von Vonovia und den ganzen anderen Miethaien hinaus?

Es werden keine Sprechchöre sein, da wir ja einen Hybrid zwischen Film und Bühne herstellen. Das Bühnenbild befindet sich zwischen zehn Leinwänden und die Zuschauer sitzen auf Drehstühlen in einer Raumbühne – so wie das Grillo-Theater eigentlich ursprünglich konzipiert worden ist. Wir lösen also die Guckkastenbühne auf. Das wird darauf hinauslaufen, dass die Aktivisten aus dem Ruhrgebiet, die wir jetzt interviewen, in verschiedenen thematischen Konstellationen auf den Filmleinwänden auftreten werden. Diese jungen Menschen, die ganz unterschiedliche Aktivisten sind – Recht auf Stadt-Aktivisten, Klimaaktivisten, Menschenrechtsaktivisten – haben eine sehr interessante Sicht auf Utopie, weil sie alle nichts Größenwahnsinniges haben, also nicht so denken wie Macher von Großprojekten. Sie sagen, die Summe der Einzelengagements und die Vervielfältigung der Gruppe von Menschen, die sich wehren, wird dazu führen, dass man umdenkt, anders lebt, anders wirtschaftet, anders mit den Ressourcen dieses Planeten umgeht. Und sie glauben alle daran – trotz der Wahlergebnisse und Rückschläge. Und sie beschreiben die sozialen Strukturen, die sie selbst bei ihren Aktionen wie in Lützerath oder bei Klimacamps oder bei Fridays for Future in ihren Organisationen leben, als die zukünftigen, utopischen Modelle des Zusammenlebens. Modelle der gegenwärtigen Achtung, des Respekts, der sexismus- und rassismusfreien Zonen, der gelebten Gleichberechtigung und Gleichheit. Da geht es um nachhaltiges Leben, da fährt keiner Auto, da ist keiner gierig, da ist niemand dabei, der oder die sich einen Vorteil verschaffen möchte. Also leben sie das in ihren Gemeinschaften schon so, wie sie es gerne in groß hätten, und treiben damit sehr glaubwürdig die Gesellschaft verändernde Projekte voran, die sie an die Öffentlichkeit bringen, und sie sind ja erfolgreich: 1,4 Millionen Menschen haben sie schon einmal bei Fridays for Future an einem Tag aktiviert. Das Utopische liegt im Machen selbst, im Rebellieren gegen das was ist und in der Unbeirrtheit, die darin liegt. Im Weitermachen, obwohl die Zukunft dunkel aussieht. Der Aktivismus dieser Generation ist die wichtigste politische Kraft, die wir derzeit haben.

Gibt es auch was zu lachen in der Inszenierung?

Wie man es nimmt, es ist ja auch alles grotesk und bizarr, diese Verbiegungen all dieser Menschen, die in unserem System versuchen, wider alle Vernunft und gegen alle Erkenntnis einfach so weiterzumachen. Die argumentieren, es gäbe keine Alternative zum Bestehenden. Das ist traurig und komisch zugleich. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten!

AufRuhr | R: Volker Lösch | Fr 17.12. 19 Uhr (P) | Grillo-Theater, Essen | 0201 812 22 00

Interview: Peter Ortmann

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