Ja ja, der Titel „Auerhaus“ stammt vom Madness-Song „Our House“. Geschnallt. Ich würde spontan mit R.E.M. (minimal verändert) erwidern: „It's the end of a world as we know it“. Denn Bov Bjergs Jugendroman „Auerhaus“ ist für viele auch eine Zeitreise in längst vergangene Tage, manche Dialoge tun mächtig weh, wenn man Ähnliches erlebt hat. Aus heutiger Sicht haben sich die Probleme der Oberprimen nicht sichtlich verändert, wenn es auch die Abgründe der militärischen Zwangs-Musterung längst nicht mehr gibt. Hauptfigur ist Frieder, den sein Vater nur knapp vor dem Suizid im Keller gerettet hat und den seine Freunde nun wieder ins Leben zurückholen wollen. Aber noch liegt er geschwächt im Irrenhaus, und das liegt perfekt zwischen Schlachthof und Krematorium.
Karsten Dahlem inszeniert die 2015 als Roman erschienene Geschichte in der kleinen Essener Casa. Wenig Platz also für ausschweifende Gelage. Doch die ausgezeichnete Choreografie der fünf großartigen Protagonisten und dem feschen Schlagzeuger machen die Enge schnell vergessen. Das leerstehende Bauernhaus von Frieders verstorbenem Opa wird das Auerhaus, die Wohngemeinschaft, eine Kommune, die die Abiturprüfungen mehr schlecht als recht überstehen wird, denn die inneren Konflikte in der Gruppe brechen immer wieder hervor und Frieder ist latent weit davon entfernt, geheilt zu sein. Also wird die Hütte zum Laboratorium für Fragen über Sinn und Zweck der Existenz und dem alten Spiel, wer pennt mit wem und warum. Bov Bjerk verrührte viele Facetten in seine Geschichte, als Romancier hatte er auch weit über 200 Seiten Zeit dafür. Erstaunlich wie gut die Inszenierung das auf ein paar Tischen verarbeitet hat.
„Auerhaus“ | R: Karsten Dahlem | 8., 29.1., 8.2. je 19 Uhr | Theater Essen | www.theater-essen.de/schauspiel/
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