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„Wolken.Heim“
Foto: Martin Kaufhold

Von der RAF bis an Belt

26. März 2015

Elfriede Jelineks „Wolken.Heim“ am Theater Essen – Theater Ruhr 04/15

Lebendig sind sie nicht, die hier schon gleich zu Beginn kollektiv „Wir!“ schreien. Ein zwölfköpfiger Chor, gewandet in grün-braune, biedere Anzüge und Kleider, der überheblich sich selbst über alles stellt. Zu sehen ist der Selbstbeweihräucherungstrupp zunächst nicht, er verbirgt sich bei Kerzenschein in den Öffnungen eines halbrunden, neofaschistischen Pfeilergangs (Bühne: Christine Gottschalk). Später schweben Wortblasen aus dem nationalistischen Vademecum durch den Raum: Von Helden, Schicksal, Dienst, Treue, Wille, Opfer ist die Rede. Doch am Ende steht dann nur noch die bange Frage: „Waren wir nie draußen?“

Nein, waren sie nicht. Es sind Tote oder besser Untote, die in der Essener Inszenierung von Elfriede Jelineks 1988 entstandener Sprachpartitur „Wolken.Heim“ die Bühne heimsuchen. Aber nicht deshalb, weil ihr deutschnationales Dampfgeplauder von toten Dichtern und Denkern wie Hölderlin, Kleist, Fichte, Hegel, Heidegger, Nietzsche stammt und bis zu Linksterroristen reicht. Bernd Freytag und Mark Polscher machen einen Gedankenraum auf, in dem sich deutscher Mythenschaum sedimentiert hat. Natur-Metaphern, Selbstbezogenheit, Rassismus, Geopolitik, Revolution treffen aufeinander und gehen wie Hefeteig in alle politischen Richtungen auf: Von der RAF bis an den Belt.

Obwohl in bekannter Jelinek-Manier ins Groteske übersteigert, erkennt man vieles in den aktuellen Debatten über Pegida, über Griechenland oder den Ukraine-Konflikt wieder. Passend zum pegidistischen Blödssinn schart sich die Truppe um ein Gretchen (Silvia Weiskopf), ruft „Wir brauchen nur uns!“ und grenzt sich bis zum gedanklichen Inzest von jeder Form des Draußen ab: „Wir bezeugen uns. Wir sind hier.“ Mitunter geht es auch etwas vordergründig zu, wenn der Chor zur Trommeltruppe mutiert und Jan Pröhl als deutscher Förster mit Kniebundhose und Jagdhorn eine rassistische Suada auf die „Neger“ ablässt. Das Regieteam macht Bildangebote aus dem einem Fundus, der zwischen Ernst und Klischee changiert. Da gibt es einen Leichenzug mit der gemeinsam über Kopf getragenen Leiche; dann das schon erwähnte Gretchen; Stefan Diekmann schwadroniert mit pastoral-leidendem Tonfall, leicht geneigtem Kopf und ineinandergelegten Händen über Willens- und Geistesapotheosen: Ein Schmerzensmann des Nationalen, der jede Brutalität zu rechtfertigen bereit ist. Sven Seeburg mit seiner gesenkten Deutschlandfahne lässt die ganze Enge kleinbürgerlicher Spießermentalität aufleben; alle vier Solisten vereinigen sich schließlich zu einem Saufgelage um ein weißes Friedhofskreuz, dessen Inneres Alkohol und Gläser bergen. Die Inszenierung lebt aus ihrer formalen Strenge, ihrer Konzentration auf den Text, suggeriert allerdings über Ausstattung und Bildikonographie einen Interpretationsrahmen, der allmählich doch etwas überdeutlich auf die Blut-und-Boden-Ideologie verweist. Hier hätte man sich eine etwas größere, aufs Heute ausgerichtete Deutungsoffenheit gewünscht. Nichtsdestotrotz ein gelungener Abend.

„Wolken.Heim“ | R: Bernd Freytag, Mark Polscher | Mi 1.4., Fr 15.5., So 24.5. 19 Uhr | Theater Essen | 0201 812 22 00

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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