Am 1. Mai gingen die 58. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zu Ende und damit auch die große Feier des vor 50 Jahren verlesenen Oberhausener Manifestes, das als Gründungsdokument des Neuen Deutschen Films in die Filmgeschichte einging. Schon im Vorfeld des Festivals machte das Erinnerungsprojekt „Provokation der Wirklichkeit“ – ebenso Motto der diesjährigen Kurzfilmtage – auf sich aufmerksam. Die Filme der Unterzeichner wurden in Kooperation mit diversen deutschen Filminstitutionen restauriert und in Oberhausen nun im neuen Glanz gezeigt. Diese Retrospektive oder das Thema, wie es in Oberhausen heißt, ist zweifelsohne das beeindruckendste Programm des Festivals. „Mavericks, Mouvements, Manifestos“ heißt die von Ralph Eue und Olaf Möller kuratierte Reihe, bestehend aus zehn Filmprogrammen. Sie zeigt nicht nur Filme der Oberhausener, sondern widmet sich auch kollektiven Bewegungen von Filmemachern in Frankreich, Japan und den USA, die vor allem zwischen 1950 und 1970 Impulse setzten.
Denkwürdig war dabei schon der Eröffnungsabend. Vor dem Filmprogramm und nach den obligatorischen Politikerreden, traten einige der in die Jahre gekommenen Unterzeichner Christian Doermer, Bernhard Dörries, Ronald Martini, Hansjürgen Pohland und Wolfgang Urchs teils mit Hilfe des Festivalteams auf die Bühne der Oberhausener Lichtburg und wussten gar nicht so recht wie ihnen geschah, wurden sie doch zum Zeitpunkt des Manifests und auch noch Jahre später nicht als Helden wahrgenommen. Das Filmprogramm des ersten Abends zeigte Walter Krüttners „Es muß ein Stück vom Hitler sein“ (Deutschland 1963), Wolfgang Urchs Animation „Das Unkraut“ (Deutschland 1962) und Vlado Kristls „Arme Leute“ (Deutschland 1963). Krüttner hat den noch in den 1960er Jahren wallfahrtsähnlichen Hitler-Tourismus auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden dokumentarisch aufgearbeitet.
Krüttners Film setzt dabei den Akzent für das ganze Festival, auf dem vor allem starke Dokumentarfilme laufen. Der russische 17-minüter „Vnutri kvadratnogo kruga“ (Russland 2011), auf Deutsch „In einem quadratischen Kreis“, von Valery Shevchenko zeigt ein skurriles russisches Ritual. Jedes Jahr sind 5000 Kinder zum Neujahrsfest in den Kreml eingeladen. Ihre Eltern warten im Anschluss auf einem Platz um ihre Kinder wieder in die Arme zu schließen. Doch so einfach ist es nicht, den eigenen Sprössling aus 5000 wiederzufinden. Deshalb haben die Sicherheitsbeamten sich ein System einfallen lassen: die Kinder werden eingezäunt, laufen im Kreis und die Absperrungen werden zusammengeschoben bis das letzte Kind gefunden wurde. Der Filmemacher seziert dieses Ritual bis die Wunden der russischen Gesellschaft offen liegen. Der Internationale Wettbewerb ist in den fiktionalen und experimentellen Formen leider wesentlich schwächer und erzählarm. Dass die alten Oberhausener den möglichen Neuen nach 50 Jahren sogar noch voraus sind vielleicht an der Filmauswahl oder auch an den zu wenig politischen Filmhochschulen. Bei beidem gäbe es jedenfalls Nachholbedarf.
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