Zur Person
Romy Schmidt studierte Kommunikations- und Medienmanagement in Stuttgart. Über den Weg der Regie- und Dramaturgieassistenz wurde sie 2009 freiberufliche Regisseurin und hat zu 2015/16 die Leitung des Prinz-Regent-Theaters übernommen.
Show must go on. Selbst wenn es wieder Zeit wird für ein paar Lehrstücke auf den deutschen Bühnen. Die Angst geht um, nicht mehr vor der roten oder gelben Gefahr, mehr vor den Kriegs- und Armutsflüchtlingen aus allen Teilen der Welt. Dass vieles auf Dummheit und Vorurteilen beruht, wissen wir, dennoch ausgerechnet Rainer Werner Fassbinders Film „Angst essen Seele auf“ von 1974 mit Brigitte Mira und El Hedi ben Salem passt nicht mehr auf die heutige Zeit – Gastarbeiter sind keine Wirtschaftsflüchtlinge gewesen (oder irgendwie doch) und sie sind ja auch irgendwann wieder gegangen (denkste!) und Islamisten gab es damals noch nicht (ach ja?). Keine Vorurteile zu haben ist ja auch verdammt schwierig. Show must go on.
Im Bochumer Prinz-Regent-Theater inszeniert Theaterchefin Romy Schmidt ihre Version des Fassbinderschen Antitheaters, nicht Films, denn was nicht viele wissen, der Text vom Theaterstück stammt vom Deutschen Meister (1945-1982) des Neuen Deutschen Films selber. Hölle, Hölle, Hölle. Das ist ja Wahnsinn und der alte Wolfgang Petry wird auch irgendwie der Running gag und ein klitzebisschen Stilbildner des Abends, der mit den szenischen Brüchen einer Revue nicht nur die Situation des ungleichen Paares lockert, nein der Abend zeigt eine neue Definition des eigentlich verpönten Mitmachtheaters. Romy Schmidt und Frank Weiß geben dem Publikum die überaus zeitgenössische Möglichkeit, während des Stücks, Text, Dialoge und Protagonisten zu dissen. Unter den Sitzen findet sich natürlich kein Facebook-„Gefällt mir nicht“-Button, aber plüschige Flaschen, Bananen und Haie können mittendrin geworfen werden, Unmutsbekundungen wie „buh“ und spitze Schreie sind erlaubt. Anne Hofmann und Maximilian Stresnik übernehmen diesen Schau-Teil, der auch mit seiner grenzenlosen Trivialität besticht. Dass dies auch ein Reflex auf Publikum-beherrschende TV-Formate ist, mag man nicht einmal mehr bemerken. Das Showmaster-Pärchen, das sich quer durchs gesamte Theater bewegt, wird immer von einem hörbaren Schalter abgewürgt, die eigentliche Handlung beginnt zwischen silbrigen Fadenvorhängen und Spiegelflächen, in denen sich auch die Zuschauer wiedererkennen können.
Zur Person
Romy Schmidt studierte Kommunikations- und Medienmanagement in Stuttgart. Über den Weg der Regie- und Dramaturgieassistenz wurde sie 2009 freiberufliche Regisseurin und hat zu 2015/16 die Leitung des Prinz-Regent-Theaters übernommen.
Alles beginnt wie im Film. Emmi Kurowski (wunderbar gespielt von Doris Plenert) ist eine ältere verwitwete Putzfrau, steht urplötzlich in einer Bar, in einer ungewohnten Welt, und trifft dort den Marokkaner Ali. Das Revuehafte ist abgefallen, das Sentiment betritt die Bühne. Ali fordert sie zum Tanz auf, bringt sie nach Hause, erzählt von seiner tatsächlichen Lebenssituation und zeigt Emmi etwas von der orientalischen Haltung Menschen gegenüber. Romy Schmidt hat die Rolle mit dem blonden Linus Ebert besetzt, Teutone, nix Nordafrika, und auch dieser Schachzug erscheint nach den ersten Minuten die selbstverständliche Antwort auf diverse strategische Angriffsstellungen der momentanen Populisten zu sein, ein Gambit gegen die Stereotype. Ebner macht seine Sache ausgezeichnet und sehenswert, Ali hat in seiner Unbeholfenheit Größe, sein Weltbild gerät nicht aus den Fugen. Erst als Emmi ihn aus falsch verstandenem Integrationsbedürfnis verrät, verliert er einmal die Fassung. Aber er duscht oft – wie ungewöhnlich. Romy Schmidt erzählt eben die Kerngeschichte brillant und mit Musik.
Ungewöhnlich an diesem Abend war sicher auch die Reaktion des Publikums, die weniger vom Jubel auf Abruf, vom Buh und den Plüsch-Flaschen (eine Dresdner Brauerei, nur so der Ordnung halber, weil das die Stadt ist, die von Ausländern – fünf Prozent – ja quasi überschwemmt wird) aber reichlich Gebrauch machten, insbesondere Anne Hofmann und Maximilian Stresnik, die auch alle fremdenfeindlichen Nebenfiguren spielen mussten, flogen diese um die Ohren. Was mich sehr berührt hat: Auch Emmi bekam eine solche Reaktion, als sie Ali zum Arbeiten für die blöde Nachbarin in den Keller schickte. Aber dann waren sie wieder in ihrer Kneipe (sorry, Bar) und Vico Torriani trällert „Du Schwarzer Zigeuner“ (1953). Kif-kif. (Egal) Mit dem Licht (Awa Winkel) wird in dieser Inszenierung gerne gespielt, Spots bleiben immer auf den Figuren, egal wo sie sich befinden, das Publikum ist meistens hell, so sieht man auch, dass sich einige an dem Abend echt um die Plüschtiere zum Disliken bemühen. Lange Pausen schaffen dafür Nähe zum Nachdenken, um das Paar herum tobt der Neid und damit die Ablehnung. Der schwarze Zigeuner flieht, geht fremd, fühlt sich mies, kehrt zurück, ein Magengeschwür zwingt ihn in die Knie. Emmi bleibt bei ihm. Es ist die Situation, der Sachzwang zwischen fremder Kultur und dumpfem Deutschtum, das die Geschwüre immer wiederkommen lässt. Ein gelungener Abend mit sehr interessantem theoretischen Überbau. Und – keine Angst beim Zuschauen.
„Angst essen Seele auf“ | Sa 1.7., So 2.7. 19.30 Uhr | Prinz Regent Theater Bochum | www.prinzregenttheater.de
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