Mann ist Mann und doch eine Frau. Marieke Kregel spielt den irischen Hafenarbeiter Galy Gay, der nicht nein sagen konnte und deshalb statt eines Fisches eine neue Existenz erwirbt. Philipp Preuss inszeniert am Moerser Schlosstheater Bertolt Brechts Jugendstück als Vexierspiel zwischen Geschlecht und definierter Persönlichkeit. Identität ist heute zwar viel angreifbarer geworden, doch die menschlichen Mechanismen, sich dem selbst auszuliefern, nicht kleiner. Ganz im Gegenteil. Macht euch locker. Alle hören auf die Ballade vom Bierwaggon.
Auch Gay (der passende homophobe Wortwitz wurde natürlich nicht ausgelassen) scheint die Gelegenheiten, sich dem drohenden Unheil zu entziehen, zwar zu erkennen, aber er nutzt sie nicht. Immer wieder und wieder suggeriert er sich an der Rampe die Möglichkeit, gehen zu können, aber vielleicht doch noch gebraucht zu werden. Wie könne einer gehen, wenn er noch gebraucht werde. Hier opfert er/sie sich für ein Ideal, dass keines ist, danach obsiegt die Gier nach Geld, die ihn endgültig ins Verderben und als Soldat an die britisch/tibetanische Front stürzt. Da hat er längst nicht nur seinen Namen, sein Selbstwertgefühl, seine Persönlichkeit verloren, da ist auch Marieke Kregel an ihren physischen Grenzen.
Mit Gewalt lässt sich alles erreichen, eben auch die Vernichtung des eigentlichen Ichs, ein Tatbestand der weltweit in den Armeen zelebriert wird. Das unterstützt auch das Bühnenbild (Ramallah Aubrecht) im schwarzweißen floralen Tarnmuster; es entspricht den Uniformen der Soldaten, deren Figuren so im Hintergrund verschwimmen, und das wird Galy Gay am Ende auch, wenn aller Witz um ihn und seine Situation verschwunden ist. Dazu hätte es allerdings nicht einmal das allseits beliebte Waterboarding gebraucht. Der zweite Teil des Abends ist stärker, wenn Preuss die Ergebnisse seiner Analyse herumzeigt: Niemand entkommt dem militärischen Wahn, solange es noch Idioten wie den Blutigen Fünfer gibt und eine menschliche Maschinerie, die ihn dabei unterstützt. Und wenn es nur die Kriegsgewinnlerin Witwe Begbick ist, die am Ende mit in den Untergang zieht.
„Mann ist Mann“ | Do 12.6. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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