Es gibt so Daten, die machen manchen Schabernack möglich. An einem Tag im April ist dies immer so. Ein aktuelles Beispiel: Die erste Premiere in diesem Monat findet in den Bochumer Kammerspielen statt.Dort herrscht am 9.4. der Krieg der Welten. Eine Invasion von Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer. Aber: April, April. Im aktuellen Spielplan ist das Massaker an der Weltbevölkerung nach H. G. Wells nicht mehr zu finden. Haben da etwa Außerirdische ihre Finger im Spiel gehabt oder müssen wir wieder auf die ergrauten Heroen Fox Mulder und Dana Scully hoffen? Nö. So was passiert schon mal am Theater. Terminprobleme, Erkrankungen, Intendantenwechsel (April, April, natürlich nicht). Aber alle Leser sollten vorsichtig mit den Informationen in diesem Text umgehen, vielleicht ist ja noch ein sogenannter Aprilscherz versteckt. Denn der Krieg der Welten findet dann wohl doch statt. Schmidt-Rahmers neuen Text dafür liefert allerdings Elfriede Jelinek, die seit 2013 an einem großen Werk zur europäischen Flüchtlingskrise schreibt. Bisher sind unter dem Titel „Die Schutzbefohlenen“vier Texte erschienen. Die Uraufführung fand 2014 am Thalia Theater statt, seitdem sind zahlreiche weitere Inszenierungen entstanden. Der letzte Teil „Epilog auf dem Boden“ wurde im Januar 2016 veröffentlicht und wird in der Bochumer Inszenierung erstmalig verwendet.
In Dortmund inszeniert Kay Voges im neuen Megastore „Die Borderline Prozession“ mit 25 Schauspielern und Schauspielerinnen. In der Halle steht eine Mauer. Und ein Kameraauge, das diese Mauer umkreist – alles Zutaten für eine Performance, ein Spektakel, eine Meditation, eine Belagerung, eine große Liturgie über die Widersprüche und Ängste unserer Zeit. Und die sind vielfältig. Ein Schiff mit Geflüchteten versinkt im Mittelmeer, und du bist zum Abendessen eingeladen. Über Twitter wird vermeldet: Enthauptung in Syrien, in Ungarn ist der Stacheldraht fertig, die Grenzpolizei setzt Wasserwerfer ein gegen den Ansturm der Verzweifelten. Aber: Die Steuererklärung ist fertig. Peter will heiraten, Urs zum IS, und aus dem Radio dröhnt das Versprechen von Sonne und Abenteuer: Kreuzfahrt in der Adria. Alles auf einmal und alles in überschaubaren, kurzen Zeiträumen. Alle sind irgendwie immer hibbelig. Der New Yorker Medienwissenschaftler Douglas Rushkoff nennt diese Neue Gleichzeitigkeit folgerichtig einen „Gegenwartsschock“ und die US-Amerikaner müssen es ja wissen. Wir in Europa streiten ja lieber über Macht und Ohnmacht der Vernunft. Der Gegenwartsschock jedenfalls dient in Dortmund nun für die Suche der Macher um den Intendanten nach neuen Erzählweisen für die Digitale Moderne. Und was soll das werden? Eine Prozession um unsere Barrieren und Grenzen, durch unsere Feste und unsere Kriege, von hier nach da und wieder zurück, vorbei an Leben und Tod? Ein feierlicher kirchlicher Umzug durch das von Islamisten übervölkerte Dorf Ruhrgebiet? Seien wir gespannt.
„Die Schutzbefohlenen/ Appendix/ Coda/ Epilog auf dem Boden“ |Sa 9.4.(P) 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
„Die Borderline Prozession“ | Fr 15.4. 19.30 Uhr | Megastore, Dortmund | 0231 50 27 2 22
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