Gewitterwolken ziehen über dem Mittelmeer auf. Doch die Crew an Bord der Lifeline registriert auf ihren Smartphones ganz andere Turbulenzen, die an diesem Wahlsonntag, weit weg, durch die politische Landschaft der Bundesrepublik ziehen. Satte 13 Prozent hat die Alternative für Deutschland bei diesem Urnengang erhalten. Damit zieht im September 2017 erstmals seit 1949 eine rechtsnationale Partei in den Bundestag ein.
Markus Weinbergs Dokumentarfilm „Die Mission der Lifeline“ nahm seinen Ausgang in einer der Hauptstützpunkte der Rechten, wie er im Publikumsgespräch nach der Vorstellung im endstation.kino erzählte: „Das war die Zeit, als in Dresden 20.000 Pegidisten auf die Straße gingen.“ Der Journalist erhielt damals den Redaktionsauftrag, über die rassistischen Proteste zu berichten. Doch in der sächsischen Landeshauptstadt traf Weinberg auch auf Axel Steier, ein Antifa-Aktivist, der in den Tagen dieser rechten Aufmärsche eine Seenotrettung initiierte: die Mission Lifeline. „Diese Geschichte wollte ich dann zu Ende erzählen“, so Weinberg. „Vom ersten Tag an war ich bei der Lifeline dabei.“
Anderthalb Jahre begleitete Weinberg mit seinem Film-Team die AktivistInnen: von den Spendensammlungen, über die Vereinsgründung, bis schließlich zur dreiwöchigen Fahrt im Mittelmeer. 1019 Menschen rettete die Crew vor dem Ertrinken. „Das es gut ging, war reines Glück“, blickt der Regisseur zurück. Damit meint er nicht nur die Irrfahrt der Lifeline, die damals für Schlagzeilen sorgte. Sein Film dokumentiert auch die brenzligen Momente: die Begegnung mit restlos überladenen Schlauchbooten, auf denen Geflüchtete über das Mittelmeer treiben. Oder ein Zusammenstoß mit der sogenannten libyschen Küstenwache.
Welchen Ruf diese von der EU unterstützten Warlords und Schlepper unter Geflüchteten haben, führt eine Szene vor Augen, in der die geborgenen Menschen an die italienischen Grenzbehörden übergeben werden sollen. Panik bricht aus. Erst AktivistInnen beruhigen die Situation, als sie versichern, dass es für die Geflüchteten nach Italien geht. Nicht in die Hände der libyschen Küstenwache, wo Folter und andere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Weinberg schildert die Ereignisse bewusst aus einer subjektiven Perspektive, er lässt die Lifeline-AktivistInnen zu Wort kommen. Und thematisiert auch ihre GegnerInnen von Pegida und Co. So setzte es etwa eine Anklage gegen die NGO um Axel Steier. Der abstruse Vorwurf: Einschleusung von Ausländern. Und was so manche DresdenerInnen von der Seenotrettung halten, das kriegt etwa Steiner während eines Interviews von einer Dame um die Ohren gehauen, die es mit den Pegida-Parolen hält.
„Die Mission der Lifeline“ inszeniert diese Widersprüche: In einer Szene blickt ein Junge, der gerade eben gerettet wurde, traurig in die Kamera. Dann eine Überblende: „Absaufen“-Sprechchöre und der Aufmarsch des neu-braunen Mobs. Ein bewusste Montage, die Weinberg aber an diesem Abend rechtfertigt: „Wer auf Pegida-Demos war, weiß, dass sie so etwas skandieren“. Seine Reportage ist daher ebenso das Dokument einer polarisierten Gesellschaft: Die einen helfen selbstlos, die anderen hetzen schamlos.
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