Rasterlocken, studentisch und weiblich – so beschreibt auch Autor Holger Michel die stereotypen FlüchtlingshelferInnen in seinem Buch mit dem an Merkel angelehnten Titel „Wir machen das. Mein Jahr als Freiwilliger in einer Unterkunft für Geflüchtete“. Dass dieses klischeebeladene Bild nicht auf alle Freiwilligen zutrifft, die in solchen Unterkünften mitanpacken, das weiß auch Michel, er selbst steht sogar dafür: Rollkragenpullover, Jackett – smart und adrett erscheint er an diesem Abend im Essener Grillo-Theater, wo er über seine Erfahrungen in der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus in Berlin-Wilmersdorf spricht. Denn im September 2015, als tausende Menschen in Notunterkünften untergebracht wurden, entschied sich der Berliner, als Freiwilliger mitzuhelfen. Was er erlebt und gelernt hat, das hat er in dem Buch festgehalten, das im März erscheint. So hat der engagierte Autor auch viel zu erzählen bei der neuesten Ausgabe von „Lesart“, einer Reihe bei der im Schauspielhaus Essen AutorInnen und KritikerInnen über aktuelle Sachbuch-Neuerscheinungen diskutieren.
Gutmensch: „Ein anti-zivilisatorischer Kampfbegriff“
Das Thema an diesem Abend: „Bitte, danke, gern geschehen: Vom Helfen und helfen lassen“. Dazu wurden neben Holger Michel auch WAZ-Kulturchef Jens Dirksen und der Historiker und Journalist Tillmann Bendikowski eingeladen, der in seinem Buch „Helfen. Warum wir für andere da sind“ diesem Phänomen in Geschichte und Gegenwart nachspürt.
Auch Bendikowski widerspricht dem klassichen – oftmals weiblichen – Helfer-Stereotyp: „Männer sind nicht nur in der Lage zu helfen, sondern sie tun es auch“. Vielmehr sieht der Historiker im Helfen fast schon eine menschliche Konstante, die bis zur christlichen Tradition zurückreicht – etwa im Bild des barmherzigen Samariters. Doch diese Haltung, ja die HelferInnen selbst sind aktuell einer anderen Gruppe ein Dorn im Auge, wie Bendikowski konstatiert. Neurechte und Neoliberale sprechen diffamierend vom „Gutmenschen“ oder einem pathologischen „Helfersyndrom“. Ein Phänomen, das mehr als besorgniserregend ist: „Wenn wir das Helfen diffamieren, dann diffamieren wir die Zivilisation“, so der Historiker. „Gutmensch ist ein politischer, ein anti-zivilisatorischer Kampfbegriff.“
Ein „Wir-Gefühl“ im September 2015
Daran knüpft auch Holger Michel an: „Ich bin ein Gutmensch und fühle mich damit wunderbar!“ Gespannt hört das Publikum im Café Central International des Grillo-Theaters zu, was der Inhaber einer Kommunikationsagentur über sein freiwilliges Engagement in einer Flüchtlingsunterkunft zu erzählen hat. Etwa über das Versagen der Behörden und wie die Zivilgesellschaft aushalf: „Man hat ziemlich schnell gemerkt, dass bestimmte Sachen besser liefen, wenn es auf Behördenseite besser laufen würde.“ Trotz der Kritik, der Belastung und Anstrengung, oder der Atmosphäre in der Flüchtlingsunterkunft, die auch von Angst und Trauer der Geflüchteten geprägt sei, spricht er auch von einer Aufbruchstimmung, einem „Wir-Gefühl“, wenn er sich an den September 2015 erinnert: „Es war eine ziemliche Einmaligkeit, die in dieser Situation geboren wurde“.
Lang scheint es her zu sein: Trump, AfD, Front National oder auch der Pakt mit Erdogan stehen dafür. Doch, und das ist die Erkenntnis, die Bendikowski, Michel und Co. an diesem Abend vermitteln: Das Helfen bleibt en vogue.
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