Wie ein Jäger lauert das Krokodil. Dann reißt es das Maul auf und schnappt sich aus der Herde der Antilopen seine Beute. So souverän, wie das Raubtier auf der Leinwand das Recht des Stärkeren demonstriert, wirkt das gezeigte Video wie ein Prolog auf den folgenden Auftritt des Königs. Untermalt von einem Metal-Soundtrack sitzt dieser Tyrann da in einer Tigerfell-Weste, als wäre er postapokalyptischen Leinwand-Szenarien à la „Mad Max“ entschlüpft. Doch so fest sitzt der Herrscher gar nicht mehr auf dem Thron. Denn in seinem Dorf brodelt es.
Gemeinsam mit dem defakto-Team, das in Kooperation mit Partnern aus der Bildungs- und Kulturlandschaft Arbeitssuchende fördert, haben 13 syrische Geflüchtete Lope de Vegas Revolutionsstück „Fuente Ovejuna“ auf die Bühne gebracht. Im 1610 geschriebenen Werk beschrieb der spanische Dichter, wie sich die Dorfbevölkerung gegen ihren Despoten auflehnt.
Gemeinsam Theater spielen und Deutsch lernen
„Unser Ziel war es, gemeinsam Deutsch zu lernen und Theater zu spielen, um hier anzukommen“, erzählt Maja Niedernolte vom defakto-Team über das Projekt. Gemeinsam wurden von den 13 Laien nicht nur die Inszenierung, sondern auch Bühnenbild, Kostümbild oder Beleuchtung umgesetzt.
Gemeinsam, das ist auch der rote Faden, der sich durch diese ausverkaufte Premiere im Veranstaltungssaal des Bahnhof Langendreer zieht und wie eine Antithese zur der humanitäre Katastrophe wirkt, für die das Assad-Regime in Syrien maßgeblich mitverantwortlich ist. Umso aktueller sind die Fragen, die mit der losen Vega-Adaption auf der Bühne gestellt werden: Gemeinsam, mit Solidarität und Mut, gegen Willkür und Unterdrückung?
Das Bühnenbild, das sie für ihre Inszenierung gewählt haben ist schlicht und einfach: Auf ein großes Transparent gemalte Häusersilhouetten, mit Klebestreifen wird der Boden abgeklebt und und die Gaben an den König werden pantomimisch übergeben. Alles ist auf die Darstellung des Konflikts zwischen Dorf und Despoten reduziert.
Königssturz im Stroboskop-Gewitter
Und dieser Konflikt schaukelt sich im Eiltempo hoch: Zunächst noch durch Appelle, den Tyrannen von seiner blutigen Unterdrückung abzubringen. „Jede Familie im Dorf hat jemanden verloren“, beklagen die BewohnerInnen auf der Bühne. Irgendwann setzen sie gemeinsam auf Zerstreuung und Ablenkung. „Lasst uns feiern, als ob es keinen König gibt“, so die Ansage, auf die folkloristische Musik und rhythmisches Mitklatschen folgt. Auf der Bühne, wie im Publikum. Politisches Laientheater, das auch den ZuschauerInnen Mut machen will, mit einer einfachen wie pathetischen Botschaft. Diese verkündet schließlich die von Jumana Mansur gespielte Rebellin Jafra: „Wie lange sollen wir noch in dieser Ungerechtigkeit leben? Lasst uns gemeinsam kämpfen!“ Dann geht alles ganz schnell: Metal-Lärm aus dem Off, Stroboskop-Gewitter im Saal. Wie gepflegtes Beiwerk eines Actionfilm-Showdowns. Der Tyrann ist gestürzt. „Das Dorf war es“, ertönt es aus den Kehlen der BewohnerInnen, um noch einmal den gemeinschaftlichen Akt dieser Revolution zu beschwören. So einfach geht es. Zumindest auf der Bühne.
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