Es ist nur eine Ahnung, aber es könnte sein, dass Ödön von Horváths tristes Hotel am Rande eines mitteleuropäischen Dorfes immer noch existiert. So als virtuelle Ausgabe von „Zur schönen Aussicht“, bevölkert mit plakativen Geistern, die immer und immer wieder die böse Komödie spielen müssen, deren Dialoge Beben und Chaos erzeugen. Und weil die Schemen ihre Unechtheit nicht verlassen können, klammern sie sich an das letzte, das sie noch mit der Wirklichkeit verbindet – den deutschen Volksempfänger.
Ulrich Greb inszeniert am Schlosstheater Moers Horváths 12-Stunden-Laborexperiment gleich als imaginäre Versuchsanordnung. Die handelnden Personen agieren wie sie müssen, sie reden wie sie sollen und doch, das Unwirkliche der Bühne, der Kostüme schafft eine Zeitlosigkeit, die wieder eine neue Zwischenkriegszeit suggeriert, etwas, das niemand will und nie verhindert wird. So hebt sich der durchaus skurrile Abend sehr wohltuend von den hergebrachten Entwürfen Horváthscher Bühnenmöglichkeiten ab, amüsant ist das nie, aber aufregend, und die eingestreuten zeitgenössischen Zitate neunationaler deutscher Befindlichkeit tun ihr Übriges. Da hocken sie im Hotel am Ende des Universums und buhlen um die Gunst der in die Jahre gekommenen Baronin, die sowohl den pleitegegangenen Hotelbesitzer und sein Mord-und-Totschlag-Personal, als auch die AfD-Braut Müller als persönliche Leibeigene bei Laune hält. Es scheint, als sei das kriegerische Unheil nicht mehr weit, und doch bringt eine Außenstehende die eingespielte Symbiose ins Wanken und am Ende sind fast alle – anders als von Horváth vorgesehen – tot. Bravo.
„Zur schönen Aussicht“ | R: Ulrich Greb | 28.9., 26., 28.10. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | www.schlosstheater-moers.de
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