Napoleon
Großbritannien 2023, Laufzeit: 158 Min., FSK 12
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim
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Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen...
Olli (82), 24.05.2024
"Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen...!" Dieser angebliche bange Ausruf des englischen Feldmarschalls Wellington kam im Film nicht vor. Aber die Preußen kamen ihm trotzdem bei Waterloo zu Hilfe und fügten damit Napoleon eine verheerende Niederlage zu. Ansonsten spielten die Preußen im Film aber so gut wie keine Rolle. Bei allem Kampfgetümmel fiel kein Wort oder gab es keine Szene zur Niederlage der Preußen bei Jena und Auerstedt, keine Völkerschlacht bei Leipzig und keinen Rheinübergang bei Kaub. Nach dem verlorenen Russlandfeldzug ging es eigentlich gleich mit der Verbannung auf Elba weiter. Dafür nahm die Beziehung zu seiner Frau Joséphine einen großen Raum ein. Nun ist es für uns Männer unbestritten, dass das andere Geschlecht einen enormen Einfluss auf uns und unser Leben ausübt. Warum also nicht auch auf Typen wie Napoleon? Ob diese Tatsache allerdings die Darstellung des emotionale Auf und Ab in epische Länge rechtfertigt, möchte ich anzweifeln.
Ja, man sollte etwas über die Geschichte der französischen Revolution und der napoleonischen Zeit wissen, um mit dem Film mitgehen zu können. Die eingeblendeten Zeit- und Ortsangaben sowie kurze Texte helfen aber einem immer wieder auf die "geistigen" Sprünge. Für mich ein insgesamt sehenswerter Film.
Schad' drum
Matt513 (266), 17.12.2023
Der Zufall wollte es, daß ich ca. ein halbes Jahr vorher eine Doku über die Feldzüge Napoleons angesehen hatte. So konnte ich wenigstens ansatzweise mit den geschichtsträchtigen Ortsnamen etwas anfangen (u.a. Toulon, Austerlitz, Waterloo sowieso), die der Film etwas ungelenk auf Zwischentiteln aufruft. Ob die übrigen, vornehmlich jüngeren Besucher ähnlich vorbereitet waren, vermutlich eher nicht. Fehlt aber der rote Faden im Kopf, worum es gerade geht, welche Bedeutung die Episode fürs Schicksal hat, könnte solch ein gutgemeinter Film unübersichtlich wirken und dann eben an einem vorbeirauschen. Zumal er auch seine etliche Laufzeit hätte besser einteilen können.
Da das heute populär ist, gibt sich das Drehbuch Mühe, uns neben dem stoischen Feldherrn auch den Menschen, hier: den Ehemann in Nöten näher zu bringen. Obige Doku blieb leider schuldig, ob das Verhältnis zu Frau Bonaparte so komplex und fordernd war, als daß sich dieser Film hier bei 158 Minuten Laufzeit, hm nja, eine gefühlte Stunde zu allerlei Schrullen, Ärgernissen und Tragiken auslassen mußte. Bei den Gesellschaftsszenen stört zudem die kurze durchschnittliche Schnittlänge. Er macht ungeniert Anleihen bei den famosen Kerzenlicht-Szenen von Barry Lyndon, aber hechelt dort mit dem Schnittempo eines aktuellen Films durch. Ja, die Uhr, die tickt; kommt Leute, wir haben noch soviel anderes im Drehbuch stehen. Zusammen mit recht dürftigen Computerbildern an anderer Stelle sorgte dies dafür, daß ich als Zuschauer mich emotional gar nicht mitgenommen fühlte. Das militärische Werk des kleinen Korsen sprengt bereits jedes Spielfilmformat. Dann den Versuch zu unternehmen, darüber hinaus zu gehen, irgendwie den ganzen Menschen vorzuführen, das kann kaum gut gehen. Dann besser eine Miniserie; zumal der Film auch, ganz zeitgemäß, von einem der großen Videoportale produziert wurde.
In der zweiten Hälfte, Napoleon zieht es mit seinen Armeen gen Osten, fehlt die vertane Zeit nun. Ich schreibe das nicht, weil ich Fan epischer Schlachtszenen bin. Aber im Russlandfeldzug wendete sich die Fortune des charismatischen Feldherrn. Er war per se ereignisreich, aber hätte aus diesem Grund wesentlich mehr Gewicht erhalten müssen als bloß die paar Schlaglichter. Und im übrigen auch sehr entbehrungsreich, vor allem für die einfachen Soldaten. Deren unsägliches Schicksal, auf dem Rückweg teils barfuß und zerlumpt, vom grimmigen Winter gezeichnet, in Gefangenschaft bzw. sogar Sklaverei geraten, hätte wenigstens thematisiert gehört.
Da der Film also zuviel auf einmal will, muß er von Szene zu Szene rennen, was einen Eindruck von Oberflächlichkeit hinterläßt. Phoenix, von dem ich mir in dieser ikonischen Rolle mehr versprochen hatte, spielt seinen Napoleon seltsam leblos, kann also auch nichts retten. Ich mache das aber an der Regie Scotts fest, die einfach zu wünschen übrig läßt. Eine sehr komische Szene gleich zu Beginn; die Hinrichtung Marie Antoinettes wird minutenlang fast in Zeitlupe gezeigt. Bitte, wofür war das gut?? Ich habe mich voller Abscheu abgewandt. Immerhin kann der Meister des Gegenlichts uns wenigstens auf den Schlachtfeldern mit atmosphärischen Außenansichten erfreuen.
Ich fürchte, es wird daher bei den Oscars wieder lange Gesichter geben. Viele Versuche, den insgesamt sicherlich verdienten Regie-Oscar doch noch einzuheimsen, wird Scott jenseits der 80 nicht mehr stemmen können. Schad' drum.
Tote, Tote, Tote
Raspa (392), 06.12.2023
Viele Historiker rümpfen also die Nase über Scotts Versuch, Napoleons Leben in etwa 160 Minuten auf die Leinwand zu bringen. Gut, mag sein, dass Napoleon bei Marie Antoinettes Hinrichtung nicht in Paris weilte, das ist mir aber relativ gleichgültig. Wichtiger ist mir, ob ich den Menschen hinter dem berühmten Namen erschließen kann. Und da lässt J. Phoenix, der sicher ein grandioser Schauspieler ist, doch viele Wünsche offen. Sein Napoleon zeigt wenige Facetten und bleibt recht farblos. Besser gefiel mir Vanessa Kirby, deren Josephine deutlich mehr Nuancen aufweist.
Ansonsten: Viele, viele Schlachtszenen, die den Zuschauer zunächst durchaus beeindrucken, am Ende aber eher abstumpfen lassen. Alles in allem bei großem Aufwand ein Film, den man nicht gesehen haben muss.
Schade schade, dass Stanley Kubricks Film über Napoleon, den er jahrelang vorbereitete, nie zustande gekommen ist. Vielleicht wäre das der große Wurf gewesen, den Scott leider verfehlt hat.
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