Einen zweiten Eingang hat die Kunsthalle Recklinghausen bekommen. Einen ungewöhnlichen dazu. Oma´s Shop steht in gelben Lettern drüber, drinnen eine Theke, es hängen Kartoffelsäcke herum und in einiger Entfernung ist von draußen ein blaues Pferd zu erkennen. Nein nicht Franz Marc, die estnische Künstlerin Flo Kasearu inszeniert im Rahmen der Ruhrfestspiele den ehemaligen Bunker und sein Umfeld passend zum Motto „Haltung und Hoffnung“. Und es ist ihre erste Einzelausstellung in Deutschland.
Also hinein in die kühlen Räume, gerade noch der „Disorder Patrol“ entkommen. Das ist die in schwarzenPseudo-Uniformen steckende und mit überzogenen Helmen und Flatterbändern ausgestattete Aufsichtskolonne der Künstlerin, die nicht nur Museum und Umgebung, sondern auch ab und an den Vorplatz des Festspielhauses auf dem Hügel unsicher macht. Natürlich ist dies keine Security der Black Panther Party for Self Defense, sondern ein pfiffiger Versuch, durch Verunsicherung Aufmerksamkeit zu erregen.Ein bisschen skurril sind die plastischen Arbeiten der Estin schon, wenn der Besucher sie zum ersten Mal sieht. Alles ist schön bunt und hat manchmal den farbigen Charme der 1970er Jahre. Da sieht man gepolsterte Möbelstücke, in denen die Säulen der Kunsthalle stecken, dazu merkwürdige Sitzgelegenheiten, wohin man schaut. Die Ausstellung generiert eine eigene Welt, die sich zudem noch „Flo’s Retrospective“ nennt. Auch das kann man bei einer Künstlerin, die noch keine 40 Jahre alt ist, getrost mit Humor betrachten, obwohl hinter dem ganzen Spaßfaktor in Video, Malereien und Objekten viel Kritik steckt an den ebenfalls absurden Seiten des Kunstsystems mit seinen zementierten, patriarchisch-hierarchischen Strukturen.
Politisch wird es im obersten Stockwerk. Dort stehen ihre „Papierflieger“. Die Arbeit Uprising (2015) ist aus dem Metalldach ihres Hauses gemacht und stand zuerst in Tallinn auf Flo Kasearus „House Museum“ und kommentierte die damalige angespannte Situation zwischen Putins Russland und dem Westen. Die hellsichtigen Papierflieger haben also nichts an Aktualität verloren, ganz im Gegenteil. Lassen Sie sich diese großartige Künstlerin des Baltikumsnicht entgehen.
Flo´s Retrospektive | bis 7.8. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
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