Bei den Ruhrfestspielen 2024 befassen sich Exponate, Videos und Performances von Søren Aagaard in der Kunsthalle Recklinghausen mit der Verbindung zwischen Essen und Kunst. Ein Gespräch mit Museumdirektor Nico Anklam.
trailer: Herr Anklam, der Künstler als Sternekoch – sind die TV-Kochshows jetzt im Museum angekommen?
Nico Anklam: Absolut. Oder umgekehrt: Warum haben wir nicht viel früher darüber nachgedacht, was Kochshows mit Kunstausstellungen zu tun haben? Denn bei beiden geht es um die Darbietung von etwas Ästhetischem. Und im Hintergrund laufen viele Prozesse ab, die sonst nicht zu sehen sind. Insofern ist die Frage nach Sternen – also wer kriegt einen Michelin-Stern oder einen Stern für die beste Ausstellung – auch eine, was das Kunst- und Essensystem gemeinsam haben und was die Unterschiede sind.
Das Performative, wenn man in ein Restaurant geht, gehört sicher auch dazu.
Genau. Wenn Sie im Museumsfoyer ankommen und in die Ausstellung geführt werden oder wenn Sie im Restaurant, mittlerweile wird man dort ja oft an einem vorbereitetem Tisch platziert, dann sind das alles performative Handlungen, die darauf ausgelegt sind, dass jemand etwas im wahrsten Sinne des Wortes aufbereitet oder zubereitet bekommt. Da gibt es viel Ähnlichkeit zwischen Museen und Restaurants.
Die Küche als Ort skulpturaler Praxis – gibt es jetzt neue Formen aus Kartoffelstampf zu sehen?
Bei den Futuristen gibt es – sie werden lachen – tatsächlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Kochbücher, in denen ganz genau beschrieben wird, wie Spinatpüree und Kartoffelpüree gemacht wird. Das habe ich gerade vor mir liegen, mit schönen Zeichnungen, wie man die Gerichte ästhetisch ansprechend auf dem Teller anrichten soll, da entstehen dann tolle Zickzacklinien. Und mindestens über Fluxus zwischen Kunst und Leben bis zu den heutigen Praktiken ist jede Formung eines Kartoffelbrei-Berges eine ganz klar skulpturale Handlung. Der Unterschied ist gering, ob das nun Lehm oder Kartoffel ist, das eine konsumieren wir mit dem Auge, das andere mit dem Mund.
Bei Werner Schwab waren es Skulpturen aus Fleisch.
Gerade die Frage nach dem künstlerischen Material und genauso nach den Zutaten ist eine durchaus brisante Fragen danach, wer was isst, was man essen soll und welche Wege hat das Material für die Essensskulpturen. Und da stellen sich auch ganz virulent die Fragen, wo kommt das her, wem gehört das eigentlich, wer übernimmt das von wem. Da geht es nicht nur in der Essenskultur um Fragen wie vegan, vegetarisch oder nicht, sondern: Von wo kommt überhaupt die Idee, wie etwas zu essen ist?
Das sind ja alles Analogien. Ist also auch Fastfood in der Kunst längst angekommen?
Mit einer gewissen Vorsicht, ich glaube im Durchschnitt verharren die Besucher:innen in deutschen Museen im Schnitt so was wie sechs Sekunden vor einem Bild und maximal zwei Minuten in einer Videoinstallation. Insofern ist zu beobachten, dass wir oft auch die Bilder so schnell konsumieren, weil wir durch diverse Medien im Modus des Doomscrollings gewöhnt sind und von Bild zu Bild rasen. Dass sich eine parallele Entwicklung im Essen ergibt – womöglich. Aber viel interessanter ist doch die Frage: Welche Bilder lassen sich denn wie verstehen und in welcher Form konsumieren? Was muss man eigentlich wissen, um etwas als Bild lesen zu können? Und daran anknüpfend folgt die Frage: Was muss ich denn als Material präsentiert bekommen, um auch Essen zu verstehen? Und wie verankern wir uns hier in der aktuellen Gesellschaft? Wie konsumiert eine Gesellschaft was und wie zu welcher Zeit? Da lassen sich sowohl im Essen als auch in der Kunst ähnliche Fragen stellen.
Wird der Umgang mit zeitgenössischer Kunst nicht immer schwieriger?
Ich glaube, dass der Konsum von Kunst und Kultur zumindest in bestimmten Parametern in bestimmten Gesellschaften über die Jahrhunderte ähnlich lief. Die Vermutung, dass die zeitgenössische Kunst schwieriger oder grundlegend anders zu verstehen sei als die Kunst vergangener Zeiten, ist ein Trugschluss, da jede Kunst einmal zeitgenössisch war. Insofern stellt die aktuelle Kunst meistens die aktuellen Fragen. Es ist oft eher die Kunst von früher, die schwieriger zu lesen ist, weil man dafür heute das Handwerkszeug braucht, das für die jeweilige Zeit nötig war. Insofern ist der Konsum von Kunst und Kultur jetzt und in der Vergangenheit ähnlich herausfordernd, aber auch ähnlich erkenntnisreich.
Muss bei dieser Ausstellung Søren Aagaard als Künstler bei den Performances immer vor Ort sein?
Nein, Søren Aagaard muss und kann jetzt auch gar nicht die ganze Zeit von Mai bis August hier sein. Wir werden ausgewählte Termine fixieren, an denen die Ausstellung durch ihn und mit ihm aktiviert wird. Einige Teile der Ausstellung werden auch in den Stadtraum hinausgehen. Da sind wir gerade dabei, das Programm zusammen zu zurren. Allein schon das Eröffnungswochenende wird sehr interessant werden.
Wie würden Sie den künstlerischen Vollwert des kochenden Künstlers beurteilen, ist das Vollkornkost?
Aagaards Kunst ist sowohl Bio als auch Fastfood, es ist sowohl Mehrkorn- als auch Weißbrot und ist in den jedem Fall etwas, was man bisher so noch nicht geschmeckt oder gesehen hat.
Søren Aagaard | 5.5.-4.8. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
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