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Die „Neue Menschwerdung“ im sich ständig drehenden Transhumanismus-Laboratorium
Foto: Birgit Hupfeld

Freie Vernunft für Maschinen

26. April 2018

Claudia Bauer inszeniert in Dortmund „Schöpfung“ – Auftritt 05/18

Den nächsten Schöpfungsakt vollziehen wir selbst. Die Zukunft wird grenzenlos. Wasser, Luft, Nahrung, alles Quatsch, reine Energie lässt den Intellekt existieren, solange er will und solange er noch über Ersatzbatterien verfügt. Dieses Gedankenmodell, das schon frühen Zukunftsromanen des letzten Jahrhunderts als Prämisse diente, hat längst zeitgenössische wissenschaftliche Dimensionen angenommen und die werden im Dortmunder Theater kunst- und lustvoll gespiegelt.

Es qualmt, es zischt, wie in einer barocken Hexenküche erscheint der Chor aus den Tiefen des Theaterkellers. Wer jetzt Mephistopheles erwartet, sitzt im falschen Stück, hier wird eine Möglichkeit des Fortschritts lebendig. Was daraus blühen kann, können Interessierte mal in Frank Herberts genialem Schiff-Zyklus nachlesen. Im Dortmunder schafft Regisseurin Claudia Bauer ein gepimptes Oratorium für OpernsängerInnen, MusikerInnen und SchauspielerInnen.

Am Anfang steht die erste Person Plural als Pronomen. Eine neue Form mit Schwarmintelligenz oder doch nur knetbare Masse für neue Formen? Die Gruppe fällt subtil auseinander, werden Mimen oder Musiker, stehen für die neue Evolution im Kosmos oder das uralte Weltbild aus der Zeit, als die Erde noch eine Scheibe war. Claudia Bauer nutzt das Oratorium „Die Schöpfung" (1798) von Joseph Haydn zum Lob Gottes als „dem“ Schöpfer als musikalischen Kontrapunkt zur performativen „Neuen Menschwerdung“ im sich ständig drehenden Transhumanismus-Laboratorium. Hier soll aus dem Haufen zeitgenössischer Homunkuli endlich ein perfekter künstlicher Organismus mit neuem Ghost (einmal verbeugen vor Meister Masamune Shirow) entstehen. Das „in principio creavit Deus“ (am Anfang erschuf Gott) in Dauerschleife hält da niemanden mehr auf und „caelum et terram“ (Himmel und Erde) – wer braucht das dann noch. Interessanterweise bewegt sich das Theater Dortmund damit wieder einmal an der Nadelspitze der theoretischen Physik und einer noch nicht zu Ende gedachten, noch futuristischen Philosophie und natürlich Ethik. Hier kommt dann doch der Geist, der stets verneint, ins Spiel, denn wer das Natürliche retten will, vergisst, dass „alles was entsteht, ist werth daß es zu Grunde geht“. Und wer die reine Vernunft als Lücke begreift, der ist der digitalen Evolution schon ganz nah. Kein Wunder, dass man im Innern der Zeitlupen- Zentrifuge auch ab und an ein Teil von Hieronymus Boschs Endzeit-Triptychon entdecken kann: Haydns Oratorium bleibt als „Schöpfung“ die Folie im Vordergrund, nebst (gedachtem) drohendem Zeigefinger.

Ob das alles wider die menschliche Natur sein muss, kann niemand wissen. Die humanoiden Versuchskaninchen haben das Barock nun hinter sich gelassen – duschen, umziehen, und während „das erbärmliche Wesen Mensch“ bereits mit Computerstimme Zitatwolken aus der Kammer des Schreckens quellen lässt, beharren die großartigen Sänger Maria Helgath, Ulrich Cordes und Robin Grunwald darauf, die Krone der Schöpfung als „Mann und König der Natur“ zu preisen, der „gen Himmel aufgerichtet“ da schon immer so rumsteht. Das alles erzeugt eine kunstvolle, kaum zu beschreibende Melange aus inhaltlichen Parallelen und visuellen Wahrnehmungen, die den Blick wie ein Magnet ohne geringste Pause oder Ablenkung auf das Geschehen auf der Bühne zwingt. Eine Livekamera zeigt aus der Vogelperspektive (schon blöd, wenn bei einem Stück über digitale Zukunft Bild und Ton nicht synchron sind), wie sich der Mensch über die goldene Treppe emporschwingt ins Paradies, und das liegt dann doch irgendwo zwischen den Sternen, dort wo die Borg schon immer wohnen.

Aber so weit ist es dramaturgisch noch nicht. Maskenhaft, weil alle im gleichen Körper stecken, durchwandern die digitalen Geister wie Klapauzius und Trurl aus Stanislaw Lems Kyberiade nun als Cyborgs die schöne neue Welt: „Den Morgen grüßt. Der Lerche frohes Lied, Und Liebe girrt.“ Ja, gepfiffen. Mit Laster und Lust hat diese postmoderne Verunsicherung nichts mehr am Hut. Die Module spielen nie mehr verrückt und „Mensch ich bin total verliebt, voll auf Liebe programmiert“ ja das ist doch tiefstes Mittelalter (1995), die perfekte Cyborg-Frau erfüllt alle Wünsche, aber es gibt niemanden mehr, der in dieser Richtung welche hätte. Also heißt es am Schluss Kampf oder untergehen, doch mir scheint, langfristig wird Widerstand zwecklos sein. Denn die letzte These: „Der Mensch kann sich retten, wenn er den natürlichen Menschen aufgibt“ ist kaum zu widerlegen. Aber Schöpfung voller Schöpfer – denken wir nur mal an den Puppenspieler bei Masamune Shirow –  da sei Gott vor.

„Schöpfung“ | R: Claudia Bauer | So 29.4., So 20.5. 18 Uhr, Sa 2.6. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Dortmund | www.theaterdo.de

PETER ORTMANN

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