trailer: Frau Junghanns, wozu brauchen wir nach Fake News auch noch Lügentheater?
Laura N. Junghanns: Auf den Begriff Lügentheater würde ich gar nicht kommen. Dann müsste man ja die Frage stellen, ist Theater nicht immer Lügentheater? Es ist ja immer eine Form von: Jemand spielt jemand anderem etwas vor. Auch die Reproduzierbarkeit von Dingen ist immer eine Frage im Theater. Die Frage nach dem Authentischen. Von daher finde ich nicht, dass man das gleichsetzen kann.
Was bedeutet denn „Show-Event“?
„Show-Event“ bedeutet eine lustvolle Offenheit, die dazu einlädt, sich spielerisch komplexeren Themenfeldern zu nähern. Ohne dass man es merkt.
Und das ausgerechnet beim politischen Theater?
Und das ausgerechnet da, genau. Es ging mir so mit den Themen Nationalsozialismus, Rechtspopulismus, und so weiter. Ich war ein bisschen müde von Umsetzungen, die stark moralisch sind, die vermeintlich nur das Schlechte darin sehen, die nicht zulässt, dass wirklich ein Diskurs passiert, sondern das durch die Eingeschränktheit so verebben lässt. Und jetzt kommt ein Versuch, das Thema mal anders aufzugreifen. Nämlich über ein Showevent und eine Humorebene. Davon erhoffen wir uns, dass die Zuschauer direkter getroffen werden.
Es ist aber kein Mitmach-Theater?
Es ist kein Mitmach-Theater. Obwohl Theater ja immer Mitmach-Theater ist, weil man muss ja schon drinsitzen.
Muss denn ausgerechnet das Theaterpublikum noch aufgerüttelt werden?
Man muss erstmal gar nichts. Ich finde die ganze Frage – „Was muss Theater sein“ – spannend. Die wird auch im Stück verhandelt. Also hat Theater an sich eine moralische Verantwortung? Hat Theater eine politische Verantwortung, eine pädagogische und so weiter? Oder ist es nicht vielmehr der Ort, an dem eine künstlerische Begegnung stattfindet, wo man vielleicht auf Themen durch einen ganz anderen Filter gucken kann?
Eignet sich das Stück auch für potentielle AfD-Nazi-Wähler im Publikum?
Klar.
Hat das Stück eine Handlung oder ist es mehr eine Spielanweisung?
Das Stück von Lawrence Young hat eine Handlung. Wir schauen Familie Altmann zu, wie sie sich mit vollem Einsatz durch diverse Spielrunden kämpfen, bis eine oder einer gewinnt. Familie Altmann besteht aus fünf Personen, es gibt drei Kinder, die leiblichen Kinder des Vaters, und die Stiefmutter, seine zweite Frau. Die Kinder sind auch alle schon im Erwachsenenalter und bilden eine Art Mikrokosmos für das, was gesamtgesellschaftlich passiert. Das Stück versucht einen gesellschaftlichen Kosmos zu verstehen, anhand der „Keimzelle“ der Gesellschaft, nämlich der Familie. Gesellschaftliche Themen, die auf einer politischen Ebene verhandelt werden und die wir natürlich in den Tagesthemen sehen können, finden aber auch am Abendbrottisch statt, werden miteinander und untereinander diskutiert. Und weil gerade die AfD angesprochen wurde, ich glaube, so seit vier Jahren kenne ich kaum jemanden, der sagt, dass das Thema in der Familie immer reibungslos diskutiert wird. Da ist ein politisches Bewusstsein gewachsen, in alle Richtungen, und das führt zu ordentlichem Explosionsstoff. Das werden wir an dem Abend auch erleben. Unterschiedliche Positionen stehen sich gegenüber, die teilweise in klassischen Spielsituation oder aber auch eingebettet in ein Spielformat verhandelt werden.
Macht sich das Stück auch ein bisschen über das Publikum lustig?
Es ist nicht das Ziel, sich lustig zu machen, sondern eher lustvoll aufmerksam zu machen auf wunde Punkte, die man hat oder wo man vielleicht versteckt Rassismus in sich trägt, obwohl man behauptet, man ist auf gar keinen Fall Rassist. Es ist an vielen Stellen eine Provokation, aber wichtig ist, über diese Provokation genau in den wunden Punkt reinzugehen, um den man sonst oft drum herum schifft und das Problem nur von außen betrachtet. Einmal volle Kanne ins Fettnäpfchen rein sprechen, statt immer nur drüber zu streichen.
Wo sind denn die Grenzen des politischen Theaters?
Die Debatte ist sehr breit. Wenn sie mit fünf verschiedenen Theatermachern sprechen, hat jeder seine eigene Meinung. Fragen der Reproduktion, das ist eins der größten Themenfelder, die es nach wie vor gibt. Auch im Sinne von: „Darf man das denn?“ Auch Fragen der Besetzung. Darf ein Schauspieler oder eine Schauspielerin ohne Beeinträchtigung denn einen Menschen mit Beeinträchtigung spielen? Ich finde, dass Theater immer in irgendeiner Form politisch ist. Selbst dann, wenn es kein vordergründig politisches Stück ist. Weil das, was auf der Bühne passiert, ein Zusammentreffen von Figuren und Menschen ist und allein das schon einen politischen Akt darstellt.
„Familien gegen Nazis“ | R: Laura N. Junghanns | So 6.10.(P) 18 Uhr, 13., 27.10. je 18.30 Uhr, 2., 23.11. je 20 Uhr | Studio im Schauspielhaus Dortmund | 0231 502 72 22
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