Das Spiel ist eigentlich keins. Riesige Götter umschwärmen das kleine Haus von Jörgen Tesman, das er für seine Frau gekauft hat. Er, der unscheinbare Gelehrte, hat Macht über Hedda Gabler bekommen, natürlich nur mit der Aussicht auf Ruhm, Ehre, Einfluss, Geld. Aber nur weil DIE Hedda Gabler müde war vom Tanzen, weil sie müde war vom Geschlechter-Machtspiel, das sie meisterhaft beherrschte, und das schon während der Schulzeit. Wie Phoenix aus der Asche ist sie nach der boring Hochzeitsreise wieder in der gehobenen Gesellschaft angekommen. Die Frau, die alles erlebt hat, die nur einmal scheiterte und deshalb auch nur noch einmal Macht über einen Menschen haben möchte. Die Gespenster ihres Lebens sind gebannt in Miniaturen, die Götter können spielen.
Ulrich Greb inszeniert am Moerser Schlosstheater diese Hedda Gabler, die monströs nah an Ibsen und doch auf der Bühne so fern der damaligen Herrschaftsformen scheint. Pseudo-Avantgardistisch geht’s los im tiefen virtuellen Schnee. Schwarze Anzüge, schwarze Vorhänge und das Puppenhaus, in dem die 3D-Kopien leben und Tesman das Material für seinen bahnbrechenden Diskurs über „Brabantische Heimarbeit im Mittelalter“ vorbereitet. Endoskop-Kameras zeigen ihn dort und die Regie pflanzt das auf die Vorhänge, manchmal schauen auch die Ident-Götter hinein ins Haus. Eine skurrile Vision, aber überaus spannend und ziemlich geschickt für Hendrik Ibsens Drama um Macht, bei dem es von Anfang an nach Verwesung stinkt.
Wie wird das alles enden? Mit Mord und Totschlag wissen wir, aber der steinige Weg dahin ist das Ziel der Kunst, die am Theater zelebriert werden muss. Und das ist in Moers mit seinem Vier-Sterne-Mini-Ensemble immer sehenswert. Die Dramatik spielt sich dabei mehr im Kopf als durch große Auf- und Abgänge statt. Die Sehnsucht nach dem „Besonderen“ im Leben hat die Figuren längst durchlöchert. Am Ende ist Lövborg „in Schönheit“ tot, doch Hedda muss in einer roten Perücke einen hohen Preis dafür zahlen. Das Puppenhaus brennt, doch die Götter stellen alles wieder auf Anfang. Hier entkommt niemand, und das ist das Besorgniserregendste des Abends.
„Hedda Gabler“ | R: Ulrich Greb | Sa 15.10., Fr 21.10. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Das Publikum braucht keine Wanderschuhe“
Intendant Ulrich Greb inszeniert „Ein Sommernachtstraum“ am Schlosstheater Moers – Premiere 09/24
Das Trotzen eines Unglücks
Die neue Spielzeit der Stadttheater im Ruhrgebiet – Prolog 08/24
„Eher die Hardcore-Variante von Shaw“
Regisseur Damian Popp über „Pygmalion – My Fairest Lady“ am Schlosstheater Moers – Premiere 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
„Es kommt zu Mutationen zwischen den Figuren“
Intendant Ulrich Greb inszeniert „Der Diener zweier Herren“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/24
Missverständnis der Verführung
„Lolita“ am Schlosstheater Moers – Prolog 04/23
„Der Gegenpol zum Wunsch nach Unsterblichkeit“
Ulrich Greb über „#vergissmeinnicht“ am Schlosstheater Moers – Premiere 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
Kommt ein Schwein um die Ecke
„Zwei Fleischfachverkäuferinnen“ im Schlosstheater Moers – Auftritt 11/22
In geheizten Wunderländern
Weihnachtsstücke im Ruhrgebiet – Prolog 11/22
Über Menschlichkeit und ihre Abwesenheit
„Die Brutalität der Schönheit (AT)“ im Wallzentrum Moers – Prolog 04/22
Machtmissbrauch
„Das ist Lust“ im Schlosstheater Moers
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20