Die Wunderwaffe des deutschen Humors hatte zu einem „bunten Abend mit Musik und Quatsch“ geladen. Genauso kam es auch und doch war alles ganz anders, als das Original aus Mülheim es sich vorgestellt hatte. Dabei waren die Bedingungen wirklich gut an diesem milden und sonnigen August-Abend am Kemnader See. Trotz des großen Gedränges in der Zeltstadt, an dem der Haupt-Act des Tages nicht ganz unschuldig war, herrschte eine entspannte und von Vorfreude geschwängerte Atmosphäre. Und als sich das große Festival-Zelt fast zur Gänze gefüllt und der Maestro unter Gejohle die Bühne betreten hatte, meinte man, alles wäre wie so häufig bei einem Schneider-Konzert: Erprobte und neue Hits, stets ein wenig neu aufbereitet und mit spontaner Absurdität angefüttert, dazu ein wenig Jazz und die ironische Interaktion mit dem Publikum.
Nachdem der Willkommens-Applaus verstummt war (so ganz still ist es bei Schneider ja nie weil ständig irgendjemand lacht oder kichert) begann der Auftritt mit einer Neu-Interpretation des Folk- und Jazzklassikers „Mr. Bojangles“ und schon hier wurde ersichtlich, dass der musikalische Teil bei Helge immer anspruchsvoller wird, ohne dass dabei an dem anderen Grundpfeiler seines Erfolgs, dem Quatsch, gerüttelt wird. So gab er denn auch der Menge, wonach sie verlangte, Katzeklo und Wurstfachverkäuferin (inklusive Udo Lindenberg-Imitation und Metzgerei-Moonwalk) ließen nicht lange auf sich warten, gefolgt von einigen (wahren oder ausgedachten?) abstrusen Anekdoten. Eben hatte er noch offenbart, dass es sich bei Helge Schneider nur um seinen Künstlernamen handelt und er in Wahrheit Ron Hank heiße, als der er in früheren Zeiten in der Profession des Schönheitschirurgen Brustverlängerungen („nur die rechte“) vorgenommen hatte, da vernahm er immer lauter die wummernden Bässe „von der Gegenveranstaltung“ aus dem Nachbarzelt. Anfangs versuchte er noch nonchalant darüber hinweg zu witzeln, konterte dann mit „auch ein bisschen Techno“ und zog sich schlussendlich mit den Worten „Leute, ich breche das Konzert an dieser Stelle ab, ihr kriegt alle euer Geld zurück!“ indigniert von der Bühne zurück.
Staunende, fragende Blicke und leises Gemurmel im Publikum blieben zurück. „Ich glaub, der meint das jetzt Ernst“, schien der gedankliche Tenor zu lauten. Der Humor des Schneider zeichnet sich dadurch aus, dass er manches Mal erst beim zweiten Hinschauen und zuweilen auch gar nicht zu durchdringen ist. Doch bald wurde auch dem letzten klar, dass er es an dieser Stelle bierernst meinte. Mit stoischer Ruhe und viel Verständnis für die Situation, in die ihr Star dort gebracht wurde, verließ kaum jemand das Zelt, wofür am Ende alle belohnt wurden. Nach etwa 20 Minuten kehrte Schneider einigermaßen beruhigt mit seiner Band auf die Bühne zurück und verwies auf die für Camping-Plätze typische Situation, dass da schon mal „der Heini aus dem Nachbarzelt“ (in diesem Fall Tony Mono) etwas über die Stränge schlagen könne.
Vielleicht war Helge durch die Unterbrechung der Spaß doch ein bisschen vergangen, jedenfalls stand der zweite Teil des Abends nun stärker im Zeichen der Jazzmusik. Seine fünfköpfige Band, angekündigt als „Hartz IV-Combo aus Hattingen“, gehört sicherlich zum Besten, was er in all den Jahren auf der Bühne zusammengebracht hat, nicht zuletzt der geniale Tenorsaxophonist Scott Hamilton. Und selten zuvor war Schneider selbst so stark als Dirigent eines filigran abgestimmten Orchesters in Erscheinung getreten, mit minimaler Gestik ordnete er Rhythmus- und Tempowechsel an, dass man zeitweise das Gefühl haben konnte, hier stehe ein wiederbelebter Karajan mit Rauschebart auf dem Podium. Umso verständlicher, dass das Musikgenie sich über die hämmernden Bässe beklagte. Natürlich nahm Helge auch selbst wieder allerlei Instrumente in die Hand und in den Mund (nach vorsichtiger Zählung mindestens sieben) und fand entsprechend den Raum, um sein neues Album zu präsentieren. Bei seiner Gangnam-Style-Variante „Nachtigall huh“ gab er den Einpeitscher, der die Meute mit Pseudo-englischem Kauderwelsch („Kepper hähs“ statt Clap your hands) auf Touren brachte. Der aktuelle Hit „Sommer, Sonne, Kaktus“ schien wie gemacht für diesen Auftritt beim ZFR, doch am meisten Anklang fand die ersehnte Darbietung des kleinen Meisenmanns, die an diesem Abend von einer gewöhnungsbedürftigen Tanz-Performance des langjährigen Helge-Kompagnons Sergej Gleithmann begleitet wurde.
Zum Abschied fand Helge dann noch ein paar versöhnliche Worte und hatte Verbesserungen für das nächste Jahr in petto: „vielleicht mal ohne Zelt, dann kann man die untergehende Sonne sehen und Pommes essen“. Zeltfestival ohne Zelt? Das scheint nun nicht gerade realistisch, aber vielleicht werden ja noch Möglichkeiten gefunden, wie man den Schall zwischen den Zelten brechen kann. Und wer nicht erst bis zum nächsten Jahr warten mag, der darf sich schon auf Helges baldige Rückkehr auf die Leinwand freuen.
In dieser Folge von ZFR-TV äußert sich "Störenfried" Tony Mono zu den Vorfällen am Abend des Helge Schneider Konzerts:
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