Schon der Auftakt ist furios. Zu wummernden Introbässen flackern auf der Leinwand Umrisse einer Figur mit pyramidenförmigem Kopf auf. Erst bunte Lichteffekte, in kürzer werdenden Abständen gesteigert zu einem schwarz-weißen Schattentheater mit Stroboskop-Effekt. Immer schneller, immer lauter, überlebensgroß.
Als Deichkind kommen, ist das nach derart angefachter Spannung fast enttäuschend. Kleine Menschen auf einer riesigen Bühne. Was dann folgt sind eineinhalb Stunden Kindergeburtstag auf Acid. Auf der Suche nach dem besten Platz – die Leinwände rechts und links der Bühne sind leider ausgeschaltet, um die Show von Deichkind nicht zu verpassen muss man mitten rein – hört man mehrfach den Ausspruch „Welche Drogen nehmen die, die will ich auch!“. Doch je weiter die Bühneneskapaden voranschreiten, desto mehr fragt man sich, ob man diese Drogen wirklich will. Für die aufwendig inszenierten Kulissen und wechselnden Outfits des Sextetts sind die einzelnen Stücke paradoxerweise eine Art Camouflage. Ein Pluspunkt, denn auf dem 2012 erschienenen und bisher kommerziell erfolgreichsten Album „Befehl von ganz unten“ zünden live eigentlich nur die Chartausbüchser „Bück Dich hoch“ und „Leider geil“. Alles andere wird von einer surrealen Parade im Stil einer durchgeknallten Haute Couture-Show überstrahlt.
Hüte aus halben Flamingos, Plunderbuxen aus Müllsäcken, Schwarzlicht und Neonschlangen, ein Tandem fährt vorbei. Dazu tanzt und rappt sich das Kollektiv im Hamburger Style durch die Setlist, doch der Funke mag trotz oder vielleicht auch wegen soviel Brimborium nicht überspringen. Schon in Reihe drei vor der Bühne wird teilweise nur artig im Takt genickt, statt Bon Voyage-mäßig den Arsch zu bewegen.
Imhotep und Alkohol
Zwischendurch wirken die Verneigungen mit den wiederkehrenden Pyramidenhüten, das Symbol des Albumcovers, wie eine Götzenanbetung neo- oder besser neonägyptischen Stils. Welchem Gott da gehuldigt wird ist nicht ganz klar, bis die Hamburger Bande ein überdimensionales Bierfass einmal quer durchs Publikum reitet. In „Hört ihr die Signale“, noch von der Platte „Arbeit nervt“ aus dem Jahr 2008, heißt es „Kein Gott, kein Staat, lieber Saufen!“. Ein plumpes Statement, das bei jeder Deutschpunkband funktioniert, bei Deichkind aber unglaubwürdig wirkt, wenn ein kleiner Junge dazu auf den Schultern seines Papas sitzend abgeht.
Früher war weniger Lametta, aber deutlich mehr Street Credibility. Das Konzert gipfelt darin, dass das Bierfass zurück auf die Bühne bugsiert wird und ein Frackträger inbrünstig Frankie goes to Hollywoods Hit „Power of Love“ intoniert. Ist das Kunst? Oder Anarchie? Um anarchisch zu wirken, ist alles zu sehr durchgestyled und choreographiert und ich werde den Eindruck nicht los, dass Deichkind alt geworden sind. Die rotzige Vitalität hat der artverwandte Bandnachwuchs wie Kraftklub einfach besser raus.
Doch während man dabei ist zu vergessen, dass die dort oben tobende Band ursprünglich aus dem HipHop kommt und zwar dadaistischen aber immer auch versteckt politischen Elektropunk ablieferte, rechtfertigt die Zugabe den Konzertbesuch. Bei Klassikern wie „Bon Voyage“ und „Remmidemmi“ ist die Welt wieder in Ordnung. Die Bühne versinkt beim Finale unter Hüpfburg, Trampolin, Bademeisterhochsitz und einem Schirm in Regenbogenfarben. Insgesamt ist die aktuelle Show von Deichkind wie ein Trip auf halluzinogenen Pilzen. Manchmal lustig, oftmals zutiefst verstörend und am Ende bleibt der Drang, sich verwundert die Augen zu reiben und sich zu fragen, ob das alles nur ein halluzinogener Fiebertraum gewesen ist.
Zum Abschluss noch das letzte Video von Zeltfestival-TV, wo ihr u.a. die Jungs von Deichkind hautnah erleben könnt.
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