Der zweite Teil des internationalen Wettbewerbs bei den Kurzfilmtagen überraschte besonders durch die thematische Vielfalt, man möchte fast sagen Unübersichtlichkeit. Über flimmernde Mausbewegungen, grazile Auto-Mensch-Choreographien bis hin zur Herrschaft der Anonymität am Arbeitsplatz ergingen die Beiträge. Mit dem Videokünstler Seoungho Cho war ein Bekannter aus dem letzten Jahr wieder in Oberhausen. In fünfeinhalb Minuten bringt seine „Elliptic Intimacy“ eine Flut von Einstellungen einer geklickten, aus dem Inneren rot leuchtenden Maus hervor. Die Intimität gilt sowohl dem halbelliptischen, technischen Objekt, das heute zugleich eines der gängigsten Extensionen menschlichen Handelns ist, als auch dem Schnittmuster, einer konzentrierten Fassung von unterschiedlichen Positionen, während nichts wesentliches passiert. Einzig ein Rhythmus gewinnt mit dem frequentierten Klickgeräusch an bedrohlicher Dominanz. Am Ende ist das fast schon zu intim für die Sinne.
Weniger intim, sondern vielmehr offen gegenüber der Welt sind die Sinne der Protagonisten in Joachim Lafosses „Avant les mots“. Eine witzige und beschauliche Begleitung des Kleinkindes Cédric in der Kita, bei der man schnell in das nonverbale Kommunikationszeitalter versetzt wird, von dem man selbst kaum noch was weiß. Die Hierarchielosigkeit der Sinne Cédrics zeigt Lafosse mit ruhiger Kameraführung, vielen Nahaufnahmen und einer wohl gemeinten Passivität. Seine Kamera aber kann er nicht verstecken, und so gibt es die ein oder andere Interaktion mit dem fremden Objekt, das auf Zuschauerseite sichere Lacher verspricht.
Das Lachen scheint den MitarbeiterInnen in den Cubicle-Offices fast vergangen zu sein. Die Fortsetzung des Taylorimus auf Büroebene ist eine Innenarchitektur, bei der jeder Platz von drei Wänden und einer offenen Wand umgeben ist und wie in einem Box-System ausgetauscht und umgebaut werden kann. Der Kanadier Zaheed Mawani schneidet in seinem Dokumentarfilm „Three Walls“ die Theorie der Konstrukteure und Arbeitscoaches mit den Erfahrungen der „Insassen“ gegen. Sein Ergebnis ist beeindruckend und bedrückend zugleich. Man kommt nicht umhin, diese Modelle als Waben zu sehen, in denen die austauschbaren Arbeitsbienchen morgens ein- und abends ausfliegen. Der offene, soziale Raum ist dem Funktionieren nicht förderlich und muss sich daher manchmal auf das Hören der Stimmen aus den Nebenboxen reduzieren. Edward Norton lässt aus dem Fight Club grüßen.
Nicht sozialkritisch, dafür umso verträumter waren die anderen drei Werke. „Adormecidos“ (portugiesisch für Schlaflos) von Clarissa Campolina gibt in wenigen Einstellungen einen Blick auf die Nacht in der brasilianischen Stadt Belo Horizonte. Viele davon widmen sich Werbeplakaten, schönen Gesichtern, deren Augen immer offen sind und an denen sich die Lichter vorbei huschender Autos spiegeln. Ein feines Gespür für dezente und poetische Bilder. Fred Wordens „Possessed“ beginnt wie ein Aquarium in Bildern. Eine Frau im 40er-Jahre Hollywood-Look passiert Zugabteile, die zu Wassergeräuschen wie ein lebendiges Aquarium wirken.
Ein wenig neu gelesene Mythologie gibt es auch: Jesper Justs „Sirenes of Chrome“ zeigt fünf afroamerikanische Frauen, die durch eine leer gefegte amerikanische Großstadt fahren. Die Bilder wandern von Gesicht zu Gesicht, die Wolkenkratzer spiegeln sich an den Autofenstern, alles wirkt idyllisch wie in einem Werbeclip für einen bequemen Mittelklassewagen. Dann scheint aber der Stahl-Fetisch-Lockruf eine der Frauen zur rekelnden Tanzperformance auf dem Wagen zu animieren. Keine besondere Aussage, aber die Schnitte zwischen Innen- und Außenaufnahme des Autos (oder des Tanzes?) wirken bis zur Perfektion ausgetüftelt. Vor allem „Three Walls“ und „Adormecidos“ ragten bei diesem Screening heraus, das vielleicht doch eine Überschrift verdient hätte: Intimität und Anonymität. Dies hätte auch zum William E. Jones-Programm am Abend gepasst, wo die Anonymität der Darsteller eine gespielte Intimität versichert: Die Rede war von Pornofilmen. Rein filmästhetisch natürlich.
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