Autor Philipp Löhle zu seinem „Schlaraffenland“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Premiere 04/17
Alles ist toll im Schlaraffenland. Bis zu jener Nacht, in der ein Sohn entdeckt, dass die elterliche Welt nur Staffage ist. Hinter den Wänden müssen arme Teufel für die Matrix des Istzustands schuften. Philipp Löhle seziert im Stück unsereWohlstandsgesellschaft, für die wir selbst verantwortlich sind und nicht fremde Mächte.
trailer: Herr Löhle, „Schlaraffenland“ ist unterbetitelt als autobiografisches Stück. Ist ein Leben ganz ohne Schlaraffenland schöner? Philipp Löhle: Ich behaupte nicht, dass ein Leben ohne Schlaraffenland schöner ist.
Wenn wir es aber abschaffen könnten, so dass eine Form von Gleichheit entsteht? Ja, das wäre auf jeden Fall besser. Eine solche Gleichheit heißt ja nicht, dass man das Schlaraffenland abschafft. Das heißt nur, dass man die anderen Leute auch ins Schlaraffenland holt. Was sich hinter dem Wort Globalisierung fälschlicherweise versteckt, ist, dass die ganze Welt da mitmacht. Aber die Globalisierung ist eigentlich nur eine Verwestlichung der Welt und gar keine Globalisierung. Dadurch entsteht für uns ein Schlaraffenland, allerdings auf Kosten von anderen. Aber nur wir haben das Gefühl, dass alles möglich ist. Die andern nicht. Das Stück versucht zu zeigen, dass diese Tatsachen eh alle wissen und dass man in diesem sogenannten Schlaraffenland nur noch leben kann, indem man die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen hat.
Aber als Inszenierung muss ich doch fragen, warum sollten sich die lebenden Toten vor der vierten Wand verändern, ist doch alles super gut? Ja, genau. Warum sollten die sich verändern. Das ist eine Moralfrage. Das Schöne ist, dass man das mit sich selber ausmacht, und wenn man das aushält, dass man ein T-Shirt für drei Euro kauft und weiß, dass davon zehn Cent an eine – beispielsweise – bengalische Familie gehen. Wenn man sagt, das reicht doch, da ist doch das Leben nicht so teuer, dann kann man das locker mit sich ausmachen. Aber wenn man das nicht kann, dann kauft man das T-Shirt und hat ein schlechtes Gewissen oder man schaut, dass man ein T-Shirt kauft, für das die etwas mehr Geld kriegen. Das ist das Problem an dem Schlaraffenland im Stück, dass da der Groschen fällt.
Und man sieht die Gleichgültigkeit?
Philipp Löhle
Foto: Fernando Perez Re
Zur
Person
Philipp
Löhle (*1978 in Ravensburg) war
bereits 2011 mit „Das Ding“ bei den Ruhrfestspielen vertreten. Er
studierte Geschichte, Theater- und Medienwissenschaft und deutschen
Literatur in Erlangen und Rom. Erste Theaterstücke entstanden
während des Studiums. Außerdem war er Hausautor am Maxim Gorki
Theater in Berlin, am Nationaltheater Mannheim und am Staatstheater
Mainz.
Ich weiß gar nicht, ob das Gleichgültigkeit ist. Das Beispiel Eierkauf finde ich immer am Schönsten. Ich, als Käufer, werde vor einem Eierregal in eine Zwickmühle geworfen, weil ich für mich selbst entscheiden muss, kauf ich mir die Eier von glücklichen Hühnern oder kauf ich mir die billigen Eier von unglücklichen Hühnern. Als Student sagt man, wenn ich mal Geld verdiene, dann kaufe ich mir die teuren Eier. Aber das ist ja völliger Irrsinn. Irgendeine Ausrede finde ich immer. Warum gibt es nicht einfach nur die guten Eier?
Genau. Dann gäbe es die Moralfrage nicht mehr. Und das könnte man ja theoretisch ausweiten auf alles, T-Shirts, Kaffee. Das macht man aber nicht, sondern jedem einzelnen Bürger wird so eine Moralaufgabe gestellt. Das ist quasi der Witz.
Hat deshalb der rechte Populismus eine Chance, weil viele zunehmend Angst vor dem ewigen Selbstentscheiden haben? Die Zwickmühle ist, dass es auf der einen Seite einen Samthandschuh-Liberalismus gibt und der rechte Populismus darüber funktioniert, endlich mal die Sachen sagen zu dürfen, die doch einmal gesagt werden wollen. Das ist ja die Parole, durch die das System funktioniert. Was mich daran wundert: Früher war links, wenn man irgendwie gegen staatliche Institutionen war und es reichte schon dieser Satz, „Ich bin dagegen“. Wenn man heute dagegen ist, dann ist man irgendwie rechts. Die Linken sind verschwunden, die kommen nicht mehr vor. Und das behandelt der dritte Teil des Stücks, wo es auch in Richtung Terrorismus geht.
Gewalt als letzte Möglichkeit ? Eher: Wo führt die noch hin? Früher haben die Linksextremen irgendwelche Bankchefs in die Luft gesprengt, da hat man als Normalbürger nichts befürchtet, und jetzt fahren Leute mit Lastern über Weihnachtsmärkte oder schlagen mit der Axt am Bahnhof um sich. Das ist eine ganz seltsame Eskalationsstufe. Die Gewalt ist auch übernommen worden. Von einem völlig verblödeten Religionsfanatismus, der aber auch mit Religion gar nichts mehr zu tun hat – oder von den rechten Idioten.
Kann man sagen, dass das Stück im Grunde auch eine Reflexion auf die Ernüchterung der sogenannten Gegenkultur ist? Ja. Bei mir gibt es schon so eine Form von Ernüchterung, weil ich mich auch frage, was will man denn dem allem eigentlich noch entgegensetzen. Von „Wir setzen uns alle mal zusammen und diskutieren das aus“ sind wir weit entfernt.
Also bleibt wieder nur die Zustandsbeschreibung? Ja. Oder vielleicht findet man auch irgendwie einen Ausweg. Also im Stück ist das eher provokant gesetzt. Und es bezieht sich auch wieder zurück auf das Theater. Was kann jetzt so ein Theater leisten, indem man so einen Zustand beschreibt oder hinterfragt. Was bringt das denn, wer sitzt denn im Theater? Die Leute, die da sitzen, sind ja doch einer Meinung. Der AfD-Wähler geht da nicht hin und sagt dann: Oh, jetzt habe ich es aber verstanden.
Wie wichtig ist die Inszenierung? Die Inszenierung ist immer wichtig. Ich glaube nicht, dass es Stücke gibt, wo die Inszenierung nicht wichtig ist. Bei mir hat das immer viel mit dem Ton zu tun. Für mich habe ich auch rausgefunden, dass das Schreiben auch über so einen Ton funktioniert, also eher eine Art Gefühl. Es ist der Sound, nach dem ich da suche. Heißt gar nicht, dass die Inszenierung genau diesen Ton treffen muss, den ich im Kopf habe, der ist manchmal auch langweiliger, als der, den die Leute dann selbst finden. Aber auf irgendeine Weise muss man damit umgehen.
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