Joseph Beuys (1921-1986) hat mit seiner Erweiterung des Kunstbegriffs auf alle Lebensbereiche und dem oft missverstandenen Ausspruch, dass jeder Mensch ein Künstler sei, die nachfolgenden Künstlergenerationen geprägt. Das Werk von Anselm Kiefer (*1945 in Donaueschingen) wurzelt in der Frage, wie man nach dem Holocaust als Künstler arbeiten und dennoch in der deutschen Tradition stehen kann. Mit Joseph Beuys und Anselm Kiefer treffen in Duisburg zwei Größen der deutschen Kunst aufeinander, die erstmalig in dieser Konstellation präsentiert werden. Beide haben herausragende, prägnante Arbeiten auf Papier geschaffen, die eine wichtige Rolle im Gesamtwerk der Künstler einnehmen. Von einem Lehrer-Schüler- Verhältnis kann man aber nicht sprechen. Anselm Kiefer war zwar Student an der Kunstakademie Düsseldorf, wo Beuys lehrte, ist aber nur sporadisch aus seinem Atelier im Odenwald dorthin gefahren, um dem Professor seine Werke zu zeigen. Beuys hat ihn dennoch spontan zum „Meisterschüler“ ernannt. Zwischen beiden Künstlern entstand ein intensiver Dialog, der bis zu Beuys‘ Tod nicht abgebrochen ist, denn es war Beuys, der Kiefer erstmalig künstlerische Anerkennung entgegenbrachte und ihn ermutigte, an seinem Weg festzuhalten. Hinter vielen Arbeiten in der Ausstellung steht die Frage nach der menschlichen Bestimmung, nach Geschichte und Zukunft, aus den Perspektiven der beiden Künstler. Die Werke erlauben dabei gewissermaßen einen Blick hinter die Kulissen, denn sie ergeben gleichsam Grundkonzeptionen, die die Künstler in anderen Medien wieder aufgreifen. trailer sprach mit Museumschef und Kurator Walter Smerling.
trailer: Herr Smerling, viele kennen die Namen der Künstler, viele nur aus den Medien: Ist das tatsächlich Kunst für jedermann?
Walter Smerling: Kunst für jedermann gibt es nicht. Es gibt auch nicht Musik für jedermann. Wir sind Individuen. Jeder Mensch ist anders, die Interessen sind unterschiedlich. Diejenigen, die sich für Kunst interessieren, werden von dieser Ausstellung sehr angezogen sein. Und diejenigen, die über Kunst nachdenken und sich noch nicht so interessieren, werden möglicherweise durch diese Ausstellung einen sehr schönen Einblick finden in den Kosmos der Kunst von Anselm Kiefer und in die Gedankenwelt von Joseph Beuys.
Was unterscheidet die beiden?
Joseph Beuys ist derjenige, der den anthroposophischen Kulturbegriff oder Kunstbegriff entwickelt hat. Anselm Kiefer ist derjenige, der den archäologischen Kunstbegriff entwickelt hat. Das zu verstehen, geht nicht in einer halben Minute. Kunst und Kultur sind keine Bereiche, die man wie einen Schokoladenautomaten behandelt, in den man oben einen Cent reinwirft und unten etwas herauszieht. Damit muss man sich schon ein bisschen auseinandersetzen, und dann wird man wunderbare Dinge erfahren. Zum Beispiel, was es bedeutet, wenn Joseph Beuys sagt: Jeder ist ein Künstler. Oder was es bedeutet, wenn Anselm Kiefer erklärt: Ich denke vertikal, ich gehe in die Schichten hinein und versuche zu verstehen, wo wir herkommen, und dabei die Geschichte zu verstehen, aus der heraus wir entstanden sind.
Und das in Zeichnungen?
Dies ist eine komplexe Ausstellung, eine Ausstellung in der Hauptsache mit Zeichnungen und Büchern. Warum diese Werkgruppen? Zeichnungen sind die direktesten Verbindungen vom Kopf zum Papier. Mit dem Zeichenstift oder Kohlestift setzt der Künstler unmittelbar um, was in seinen Gedanken und Empfindungen vor sich geht.
Muss man das Werk zwei der bedeutendsten Künstler in Deutschland in regelmäßigen Abständen auch in solchen Präsentationen neu bewerten?
Es sind nicht die renommiertesten Künstler in Deutschland, sondern weltweit. Joseph Beuys und Anselm Kiefer sind vom internationalen Standpunkt her die renommiertesten Künstler. Für Kiefer ist Beuys der wichtigste Künstler des 20. Jahrhunderts, für mich ist Kiefer der bedeutendste Künstler der Jetztzeit. Die Bewertung von Kunstwerken findet immer neu statt, weil sich die Zeit verändert. Im Rahmen dieser Veränderung sieht man Kunstwerke immer wieder unter anderen Gesichtspunkten. Aber je mehr in einem Kunstwerk drinsteckt, desto mehr holt man aus ihm heraus. Sieht man die Ausstellungen von Beuys und Kiefer heute, dann wird man sie in zehn Jahren wieder mit einem anderen Bewusstsein wahrnehmen, weil sich auch der Betrachter wiederum weiterentwickelt hat.
Wie hoch ist der pädagogische Reiz für Jugendliche angesichts neuer Medien?
Wir machen keine pädagogische Ausstellung, wir machen eine Kunstausstellung. Und die Reize sind vielfältig. Gerade für Jugendliche ist diese Ausstellung dann interessant, wenn sie sich angesprochen fühlen und verstehen wollen, warum diese beiden Künstler seit 40 oder 50 Jahren so präsent sind. Wenn sie verstehen wollen, was es mit dem Kapitalbegriff von Joseph Beuys auf sich hat, oder was es damit auf sich hat, Räume zu gestalten. Da ist nichts Pädagogisches, wir wollen nichts lehren. Wir wollen die Menschen auf interessante Weise mit einer Welt konfrontieren, die sie bereichert. Wenn der eine oder andere das als Pädagogik empfinden mag, ist das in Ordnung, aber das ist nicht unser erstes Ansinnen.
Wie schwierig war es, die sicher nicht ganz billigen Exponate zusammenzubekommen?
Sehr schwierig.
Anselm Kiefer ist vor Ort. Arbeitet er auch aktiv mit an der Ausstellung?
Götz Adriani und ich kuratieren die Ausstellung. Anselm Kiefer arbeitet mit, er berät, er formuliert, er ist ein guter Partner.
Müssen wir froh sein, dass das Thema Fett nicht vorkommt?
Die Ausstellung beschäftigt sich mit Zeichnungen und nicht mit der Inszenierung von Räumen im Sinne von Gestaltung. Beuys hat mit Fett und Filz gearbeitet, Kiefer mit Blei und Farbe auf Leinwand. Das ist übrigens zurzeit sehr schön in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen, wie Anselm Kiefer mit Material umgeht.
„Joseph Beuys – Anselm Kiefer“, Zeichnungen, Gouachen, Bücher I bis 30.9. I Museum Küppersmühle, Duisburg I 0203 30 19 48 11
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