Kommunist sein heißt, im Echoraum der eigenen Projektionen oder im Gefängnis zu leben. So zumindest sieht dies Regisseur Thomas Krupa, der jetzt am Schauspiel Essen Peter Weiss’ Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ dramatisierte. Die Bühne ist auf drei Seiten von einer opaken Plastikplane umgeben, auf die Filme und Fotos projiziert werden. Die Oberfläche ist durchzogen von einem Raster, am oberen Ende ragen gelbe Kunststoffstreifen heraus und biegen sich als Gitter nach innen.
Wer diesen Jahrhundertroman erstmals auf die Bühne bringen will, muss Mut haben. Auf mehr als tausend Seiten beschreibt Weiss darin den antifaschistischen Widerstand während des Faschismus. Ein namenloser Erzähler, der weniger individuelles als kollektives Ich ist, erzählt von den Kämpfen in Berlin, Spanien, Paris, vom Exil in Schweden und der Widerstandsgruppe „Die rote Kapelle“. Parteigeschichte, Analyse des Untergrundkampfes und Taktik haben darin genauso Platz wie die Beschreibungen von Kunstwerken. Dialoge gibt es kaum, stattdessen vor allem erlebte Rede, was die Lektüre nicht leicht, als Experiment nichtsdestotrotz faszinierend macht. In Essen allerdings greift die Regie zum konventionellsten Mittel: Man destilliert Dialoge aus dem Monumentalwerk. Da diskutiert der Erzähler (Stefan Diekmann) unter einer Lampe mit seinem Vater (Eric van der Zwaag) über den Streit zwischen KPD und SPD, oder der Arzt Hodann (Matthias Breitenbach) erörtert als kritischer Kommunist mit den auf Matratzen lagernden Kämpfern die Strategie im Spanischen Bürgerkrieg – was eher nach Kellerparty aussieht. Jahreszahlen und Orte geben ein wenig Orientierung, die Figurenzuordnung fällt allerdings nicht leicht. Eindrucksvoll immerhin, wie Leiden und Niederlage der Spanienkämpfer ins Bild gesetzt werden: Während Hodann Picassos Bild „Guernica“ beschreibt, stellen die Schauspieler Guericaults „Das Floß der Medusa“ nach.
Die Parteidebatten werden schnell langweilig, und die Dialogisierung kann mit dem Romanexperiment nicht mithalten. Bei Krupa gerät die „Ästhetik des Widerstands“ zur altlinken Trauerarbeit und Geschichtsstunde, anstatt Fragen an den Roman zu stellen. Letztlich ist das Buch auch eine Art ästhetisch-proletarischer Bildungsroman, in dem der Erzähler allmählich zum Künstler heranreift. Es geht also um das Verhältnis von Kunst und Politik. Doch in Essen ist diese Ebene mitsamt der zentralen Begegnung mit Brecht im schwedischen Exil gestrichen. Stattdessen stemmt der Militärexperte Richard Stahlmann als Castro-Imitat Gewichte, und Parteizeitungsmacher Rosner hockt als zottelbärtiger Gnom in einem Verschlag. Natürlich waren die ideologischen Wendungen damals absurd, aber war das Exil deshalb ein Kuriositätenkabinett? Überzeugend immerhin Herbert Wehners (Tom Gerber) Aufstellung eines Agentennetzes als riesige animierte Grafik oder die bedrängenden Holocaustvisionen der Mutter des Erzählers (Melanie Lünighöner). Letztlich scheitert die Inszenierung sowohl an ihrem mangelnden Mut und Experimentierfreude wie an Konzeption, was uns Weiss’ Roman heute zu sagen haben könnte.
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